Seite - 209 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
Bild der Seite - 209 -
Text der Seite - 209 -
14.–16.6.1988: Aktenvermerk Gesandter Sucharipa Dok. 23
209
Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Frau Abgeordnete Tichy-Schre der,3
an. In Begleitung des HBK befand sich auch eine etwa 25-köpfige Wirtschafts-
delegation.4
Als wesentliche Gesprächspunkte sind festzuhalten:
A) Internationale Fragen
Honecker bezeichnete die INF-Ratifizierung5 als Wende in den internationalen
Beziehungen; für eine 50 % Reduktion der strategischen Nukleararsenale sind
weitere intensive Verhandlungen erforderlich; als Ziel habe eine atomwaffen-
freie Welt zu gelten. Im Zusammenhang mit der nunmehr eingeleiteten nukle-
aren Abrüstung komme aber auch der Abrüstung auf konventionellem Gebiet
größte Bedeutung zu; in diesem Zusammenhang nahm Honecker Bezug auf den
ent sprechenden 3-Stufen-Abrüstungsvorschlag Gorbatschows.6 Im allgemeinen
gelte es, von der Abschreckungsdoktrin zur Nichtangriffsfähigkeit der Militär-
blocks zu gelangen.7
Honecker erwähnte ebenfalls das große internationale Echo auf die Einladun-
gen für das am 20. Juni 1988 in Berlin beginnende Treffen zum Thema nuklear-
waffenfreier Zonen.8
Der HBK verwies auf die über weite Strecken grundsätzliche Übereinstim-
mung der Ansichten beider Länder in der Abrüstungsfrage; Österreich werde bei
dem Berliner Treffen, das auch in Österreich auf großes Interesse gestoßen ist,
durch einen hochrangigen Beamten vertreten sein. Allgemein trete Österreich
für eine Verringerung von Kernwaffen und für die Schaffung von Stabilitätszonen
ein. Ebenfalls stelle sich Österreich gegen eine Kompensation der Entnuklearisie-
3 Ingrid Tichy-Schreder (ÖVP), Abgeordnete zum Nationalrat (1979–1994), siehe Personen-
register mit Funktionsangaben.
4 Auch die SED-Unterlagen enthalten keine vollständige Liste der Delegationsteilnehmer.
5 Der amerikanische Senat ratifizierte den Vertrag am 27. Mai 1988. Siehe Dok. 11, Anm. 21.
6 Das vierte Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow fand vom 29. Mai bis 2. Juni
1988 in Moskau statt. Den Höhepunkt stellte der Austausch der Ratifikationsurkunden des
INF-Vertrags dar (siehe Dok. 11, Anm. 21). Der SED-Bericht über das Gespräch Honecker-
Vranitzky hielt fest: „Die DDR betrachte den von Michail Gorbatschow auf dem Moskauer
Gipfel vorgelegten 3-Etappen-Abrüstungsplan für Europa als gangbaren Weg zum Einstieg
in die konventionelle Abrüstung.“ Bericht über den offiziellen Besuch des Bundeskanzlers
der Republik Österreich, Dr. Franz Vranitzky, vom 14. bis 16. Juni 1988 in der DDR, in: Ar-
beitsprotokoll der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees vom 28. Juni 1988 (Protokoll
Nr. 25/88), SAPMO-BArch, DY 30/J IV 2/2A/3138, Bl. 94–107, hier Bl. 98. Gorbatschows
Plan wurde am 8. Juni in der Rede von Außenminister Eduard Schewardnasdse auf der UN-
Generalversammlung vorgestellt und auf der Sitzung des Politisch Beratenden Ausschusses
des Warschauer-Pakts am 15. und 16. Juli 1988 in Warschau konkretisiert. Vgl. Europa-Ar-
chiv, Nr. 15, D420–429.
7 Handschriftliche Randnotiz: II.8. Diese Abteilung der Politischen Sektion des Wiener Außen-
ministeriums war für die Themenbereiche Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung und Ab-
rüstung sowie die Internationale Atomenergiebehörde und friedliche Nutzung der Atom-
energie zuständig.
8 Siehe Dok. 24.
zurück zum
Buch Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit"
Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99