Seite - 239 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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20.12.1988: Bericht Botschafter Bauer Dok. 33
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gruppe gekommen
– z. B. hinsichtlich der Errichtung von Kulturinstituten, wo die
Polen früher nur technologische Zentren wollten, sowie beim Jugendaustausch-
programm, für welches nun ein polnischer Entwurf vorliege (selbst wenn er mit
einer Reihe Einschränkungen versehen ist). In der Ortsnamenbezeichnung und
bei der Definition der „Deutschstämmigen“ sind die Positionen hingegen weiter-
hin unverändert.
Ein weiteres Problem liegt darin, daß die BRD in der Finanz- und Wirtschafts-
AG ihrerseits keine Signale setzen kann, weil das Bundesministerium für Fi-
nanzen angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit in Polen nicht
einmal zu finanziellen Gesten bereit sei; Kredite in der von Polen erwarteten Grö-
ßenordnung werden hier als unvorstellbar angesehen, und dieses Kapital könnte
lt. Finanzministerium genauso gut in die Ostsee geworfen6 werden.
Daher mußte die Arbeit in diesen beiden AG eingestellt werden. Das AA hatte
auf ein vorgesehenes Treffen zwischen Rakowski und Genscher während des Be-
suchs des deutschen AM in Wien gehofft,7 der jedoch nicht zustande kam.8 Das
erwähnte „Welt“-Interview Rakowskis biete nun Anlaß zu neuer Hoffnung, weil
es zukunftsorientiert sei und erfreulicherweise der polnische Ministerpräsident
1989 als symbolisch geeigneten Neubeginn in den deutsch-polnischen Beziehun-
gen werte; bisher hatte man in Bonn geglaubt, daß die polnischen Über legungen
genau entgegengesetzt verlaufen.
Dem AA zufolge sind in Bonn keinerlei päpstliche Bemühungen, nicht einmal
in indirekter Form, wie sie in dem Erlaß 166.03.00/70-II.3/88 vom 15.11.19889
angedeutet werden, zu verzeichnen gewesen. Die BRD-Botschaft beim Heiligen
6 Handschriftliche Unterstreichung durch Sucharipa, am Seitenrand mit einem Rufzeichen
versehen.
7 Handschriftliche Randnotiz durch Sucharipa: „Polen auch“.
8 Zum abgesagten Besuch von Genscher in Wien und dem geplanten Treffen mit PM Rakowski
siehe auch Botschafter Andreas Somogyi an BMAA, Warschau. 29. November 1988, Zl. 239-Res/
88, ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1988, GZ. 22.18.15/25-II.3/88. Siehe zur Besuchsabsage aus
Termingründen weiters ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1988, GZ. 22.18.15/23-II.1/88.
9 Das BMAA (Legationsrat Josef Litschauer i. A. für den Bundesminister) übermittelte den
österreichischen Botschaften in Bonn, Washington und beim Heiligen Stuhl unter oben im
Dokument genannter GZ. am 15. November 1988 mit dem Ersuchen um streng vertrauliche
Kenntnisnahme und etwaige Stellungnahme (gelegentlich, allenfalls im größeren Zusam-
menhang) den mit „Beispiellose Einmischungsversuche des Heiligen Stuhls in die inneren
Angelegenheiten Polens“ betitelten Bericht von Botschafter Somogyi an BMAA, Warschau,
9. November 1988, Zl. 218-RES/88, in dem zu lesen stand: „Aus absolut kompetenter Quelle
wurde der Botschaft eine Information zugetragen, derzufolge der Papst verschiedene, vor
allem christlich-demokratische und konservative Regierungen ersucht habe, ihrerseits Druck
auf die polnische Regierung auszuüben, unter anderem z. B. durch Verweigerung von Kre-
ditgewährung und Unterstützung der polnischen Anliegen im ‚Pariser Club‘ und bei der
Weltbank. Namentlich genannt wurden in diesem Zusammenhang die BRD und die USA.
Hinsichtlich einer ähnlichen Vorgehensweise gegenüber einigen anderen westlichen Staaten
bestehen Vermutungen.“ ÖStA, AdR, BMAA, II-Pol 1988, GZ. 166.03.00/70-II.3/88.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99