Page - 61 - in Digitale Datenbanken - Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
Image of the Page - 61 -
Text of the Page - 61 -
61Medium
spricht ihre Anwendung aus« (Wittgenstein 1984 [1921]: 3.262).68 Mersch greift
diese heuristische Unterscheidung von sagen und zeigen auf und schlägt vor, diese
als methodischen Ausgangspunkt für die Analyse von Medien zu nehmen (vgl.
Mersch 2010: 189). Einen ausgezeichneten Untersuchungsgegenstand stellt hierbei
die Kunst dar, da diese Mersch zufolge immer schon auf die medialen Bedingungen
der Kommunikation reflektiert, indem sie Paradoxien, Brüche etc. aufzeigt, die
Medien innewohnen.69 Die negativ-phänomenologische Auseinandersetzung mit
Medien findet in der Kunst ihre privilegierten Untersuchungsobjekte. Exemplarisch
führt dies Mersch unter anderem an René Magrittes berühmten Pfeifenbildern
aus, auf denen einerseits eine Pfeife dargestellt ist und andererseits geschrieben
steht, dass dies keine Pfeife sei (vgl. Mersch 2006a: 13). Die im Zeitraum von 40
Jahren in verschiedenen Fassungen gemalten und mit unterschiedlichen Titeln
versehenen Pfeifenbilder dürfen nach Ansicht Merschs nicht nur dahingehend
interpretiert werden, dass das Bild einer Pfeife nicht mit einer ›richtigen‹ Pfeife
gleichzusetzen ist.70 Dieser trivialen Deutung entsprechend wäre die Bildinschrift
wahr. Magrittes Bilder zeigen demgegenüber »komplexe Text-Bild-Paradoxien, die
nach keiner Seite hin auflösbar erscheinen und gerade dadurch etwas von [dem,
M.B.] Verhältnis zwischen Bild-Zeichen und Text-Zeichen preisgeben« (Mersch
2006a: 13). Auf paradoxale Weise ist die Bildinschrift Ceci n’est pas une pipe wahr
und falsch zugleich. Denn einerseits erscheint im Bild eine Pfeife, bei der es sich
andererseits nur um das Bild einer Pfeife handelt. Demzufolge ist die Aussage, dass
es keine Pfeife ist, nur dann wahr, wenn man auf die bloße Bildlichkeit der Pfeife
insistiert. Falsch ist die Behauptung hingegen, wenn sie auf das erscheinende Bild-
objekt bezogen wird, da das Bild unbezweifelbar eine Pfeife zeigt. Hieran wird nicht
nur der eigentümliche ontologische Status von Bildern offenkundig, sondern auch
die Doppeldeutigkeit der Bildinschrift, wodurch die Uneindeutigkeit sprachlicher
Bezugnahme augenscheinlich wird. Dass dies keine Pfeife ist, stimmt dann, wenn
sich dies (ceci) auf das Bild als Bild (d.h. auf die Trias Bildträger-Bildobjekt-Bild-
sujet) bezieht und nicht auf das Bildobjekt Pfeife. Hierbei handelt es sich um eine
kontingente Deutung, welche das Bild sowohl nahelegt als auch unterläuft. Indem
Magritte Bild und Text in dieses widersprüchliche Verhältnis zueinander setzt, lässt
er, wie Mersch darlegt, zudem die ȟber Jahrhunderte unangefochtene Text-Bild-
Hierarchie aus den Fugen geraten« (Mersch 2006a: 13). Es kann nicht entschieden
werden, welcher der beiden Seiten Vorrang zu geben ist, und demzufolge auch nicht,
68 | An anderer Stelle stellt Wittgenstein im Tractatus fest: »Was sich in der Sprache
ausdrückt, können wir nicht durch sie ausdrücken. Der Satz zeigt die logische Form
der Wirklichkeit. Er weist sie auf« (Wittgenstein 1984 [1921]: 4.121).
69 | Die Annahme, dass Kunst einen ausgezeichneten Untersuchungsgegenstand
der Medienforschung darstellt, ist ein beliebter medientheoretischer Topos; siehe
exemplarisch Reck (2003).
70 | Die bekanntesten Versionen von Magrittes Pfeifenbildern sind La trahison des
images aus dem Jahr 1929 und das 1966 entstandene Les deux mystères.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242