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Digitale
Datenbanken90
und Tiefe mit ein. Insoweit Luhmann ausschlieĂlich Befehle in den Blick nimmt,
bleibt die Eigenlogik von Daten verborgen.
Dass der Betrachtung von Befehlen, Algorithmen und Programmen im Ver-
gleich zu Daten Vorrang eingerĂ€umt wird, ist jedoch typisch fĂŒr die Geschichte des
Computers. Dies wird bereits an Alan Turings Entwurf der universellen Rechen-
maschine deutlich. Auch wenn Daten respektive DatentrÀger im Modell der Turing-
maschine neben dem Prozessor und dem Programm das dritte zentrale Element
bilden, sind Daten gegenĂŒber den sie verarbeiteten Programmen sekundĂ€r.35 Da-
ten bleiben als Input und Output von Computerprogrammen der Maschine Ă€uĂer-
lich und mĂŒssen nacheinander in die Maschine eingelesen werden: »Zu jedem ge-
gebenen Zeitpunkt ist es genau ein Feld, etwa das r-te mit dem Symbol S(r), das âșin
der Maschineâč ist« (Turing 1987 [1937]: 20).36 Nimmt man die von Turing gewĂ€hlte
Formulierung ernst, dann sind Daten funktional Àquivalent zu einer Wand, in die
mit einer Bohrmaschine ein Loch gebohrt wird. Mit anderen Worten: Daten sind
eher mit den Objekten vergleichbar, die durch ein Werkzeug verÀndert werden, als
mit dem Werkzeug selbst.
Als dem Datenbankpionier Charles Bachman 1973 der renommierte Turing
Award verliehen wurde, wies er in seinem Festvortrag auf diesen Umstand hin.37
Bachman, den die Association for Computing Machinery fĂŒr seine Verdienste bei der
Entwicklung digitaler Datenbanktechnologien gewĂŒrdigt hatte, bemerkte kritisch,
dass in der bisherigen Geschichte der technischen Informationsverarbeitung die
35 | Konzeptuell ist in der universellen Turingmaschine kein Benutzerinterface
vorgesehen (vgl. Turing 1987 [1937]). Wie Daten vor und nach einer Berechnung
ein- und ausgegeben werden, wird nicht beantwortet. Doch auch wenn Interfaces in
Turings Konzeption nicht vorkommen, sind diese fĂŒr Computer als real existierende
Technologien unerlÀsslich. Das hat Peter Wegner (vgl. 1997: 82ff.) zu einer Kritik an
Turings Modell veranlasst. Seines Erachtens nach vernachlÀssigt der Entwurf der
Turingmaschine den Aspekt der Interaktion. Da die heutige Computerkultur jedoch
maĂgeblich auf der InteraktivitĂ€t von Computern basiert, ist es, so Wegner, nicht
hinreichend, den Computer als Turingmaschine zu konzeptualisieren. Infolgedes-
sen greift auch das medientheoretische Denken ĂŒber Computer zu kurz, sofern es
hauptsÀchlich auf Turings Modell rekurriert.
36 | Das MaschinengedÀchtnis wird von Turing nicht als Datenspeicher entworfen,
sondern als eine Struktur, die sich im jeweils aktuellen Zustand der Maschine wider-
spiegelt: »Wir können dieses Feld [d.h. das sich aktuell in der Maschine befindliche
Feld, M.B.] das âșabgetastete Feldâč nennen. Das Symbol auf dem abgetasteten Feld
kann âșabgetastetes Symbolâč heiĂen. Das âșabgetastete Symbolâč ist das einzige,
dessen sich die Maschine sozusagen âșdirekt bewuĂtâč ist. Durch Ănderung ihres
m-Zustands jedoch kann die Maschine einige der Symbole, die sie vorher âșgesehenâč
(abgetastet) hat, effektiv erinnern« (Turing 1987 [1937]: 20).
37 | Der Vortrag wurde in den Communications of the ACM unter dem Titel The
Programmer as Navigator abgedruckt (vgl. Bachman 1973c).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Ăber Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen OberflÀche und Tiefe 73
- PhÀnomeno-Technische Konfigurationen 75
- SpielrÀume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: BegriffsklÀrung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen fĂŒr DatenunabhĂ€ngigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242