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Computer 99
Zauberstab verspricht, Bildobjekte automatisch zu identifizieren, ist dieses Werk-
zeug weiterhin auf menschliches Zutun angewiesen, da der Nutzer durch einen
Mausklick angeben muss, welches Objekt ausgewählt werden soll. Demzufolge
weisen das Pfadzeichenwerkzeug und der Zauberstab den Nutzern unterschiedliche
Aufgaben oder Positionen zu. Während bei der Benutzung des Pfadzeichenwerk-
zeugs der Nutzer Bildobjekte an der Oberfläche auswählt, indem er die Grenzen
des Objekts umrandet, muss der Nutzer des Zauberstabs das Ergebnis der algorith-
mischen Selektion des Bildobjekts bewerten und dieses gegebenenfalls durch die
Erweiterung respektive Einschränkung des Auswahlbereichs korrigieren.
Ăśbersetzt man die zeichentheoretisch begrĂĽndete Unterscheidung von Ober-
fläche und Unterfläche in die medientheoretische Terminologie Luhmanns, dann
sind die mit digitalen Medientechnologien realisierten medialen Konstellationen
nicht als Selektion einer Form aus dem Möglichkeitsraum eines Mediums zu
begreifen. Auf der Oberfläche von Computerbildschirmen und in der Tiefe der un-
sichtbaren Maschine wird mit unterschiedlichen, aber gleichen Formen operiert.
Der Medium/Form-Unterscheidung ist hierbei gewissermaĂźen eine zweite Me-
dium/Form-Unterscheidung aufgepfropft, an die in der Tiefe respektive an der
Oberfläche in verschiedenen medialen Praxen angeschlossen werden kann.50 In-
folgedessen scheint jede Form im Kontext digitaler Technologien auf zwei Medien
zu beruhen und jedes Medium scheint sich im Umkehrschluss gleichzeitig in zwei
Formen zu aktualisieren. Die Einheit der beiden Formen wird in der Zuschreibung
einer Oberfläche und Unterfläche zu medialen Konstellationen als gegeben an-
genommen. In Rekurs auf die luhmannsche Oberfläche/Tiefe-Topologie kann diese
Setzung auf ihre Voraussetzungen hin befragt werden. In dieser Hinsicht geht die
50 | Die Pfropfung zweier Medium/Form-Unterscheidungen im Bereich digitaler
Medientechnologien ist nicht mit dem von Luhmann im Anschluss an Spencer-Brown
beschrieben »›re-entry‹ einer Unterscheidung in das durch sie selbst Unterschiedene«
(Luhmann 1998: 45) gleichzusetzen, da bereits das allgemeine Medium Sinn auf
einem Wiedereintritt der Unterscheidung in sich selbst beruht: »Sinn ist also eine
Form, die auf beiden Seiten eine Copie ihrer selbst in sich selbst enthält« (Luhmann
1998: 50). Im Unterschied dazu bezeichnet die (botanische) Kulturtechnik der
Aufpfropfung ein Verfahren der veredelnden ZusammenfĂĽgung unterschiedlicher
Entitäten, bei der es anders als bei der Hybridbildung nicht zu einer Vermischung
kommt: »Vielmehr werden zwei unabhängige Organismen im wahrsten Sinne des
Wortes miteinander verbunden, um sie zu einer funktionalen Einheit zu machen.
Insofern folgt die Logik der Pfropfung der Prämisse: Aus zwei mach eins« (Wirth
2011b: 11). Die Pfropfungsmetaphorik erweist sich medienwissenschaftlich unter
anderem als anschlussfähig, weil sie es Wirth zufolge ermöglicht, den Blick auf die
Schnittstelle zwischen Pfropf und Unterlage zu lenken: »Die Schnittstelle steht [...]
für die Notwendigkeit, ein ›Dazwischen‹ zu organisieren, und das heißt vor allem:
Übergänge herzustellen, um die Zirkulation von Säften und Kräften zu ermöglichen«
(Wirth 2011b: 12).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Ăśber Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242