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10). Ein Text organisiert sich demzufolge nicht um eine spezifische Bedeutung und
gewinnt hieraus nicht seine innere Einheit, sondern eröffnet stets Möglichkeiten für
vielfältige Interpretationen. Die äußere Einheit von Texten wird demgegenüber im
Kontext der Intertextualitätsforschung in Frage gestellt, wie Julia Kristeva in dem
Aufsatz Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman deutlich macht, denn »jeder
Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Trans-
formation eines anderen Textes« (Kristeva 1972: 348).67
Das Pendant zur Entdeckung des Vielen im Einen, für das exemplarisch die
Positionen von Barthes und Kristeva angeführt wurden, ist das wachsende medien-
und kulturwissenschaftlichen Interesse an Archiven, Bibliotheken und Samm-
lungen (vgl. Ebeling/Günzel 2009b). Durch die Hinwendung zur »scheinbar so
unschuldige[n] Tätigkeit der Aufbewahrung von Dokumenten« (Ricœur 1991: 187)
wird gefragt, wie sich die Eigenlogik von Archiven und Sammlungen in das ein-
schreibt, was durch diese erinnert bzw. gewusst werden kann. Hierbei dient die
Betrachtung von Sammlungen medialer Konstellationen mitunter als Modell für
die Thematisierung medialer Konstellationen im Singular, wie Jacques Derridas
Spekulation über die Zukunft des Buches zeigt, die mit einem Nachdenken über die
Bibliothek als Ort und Institution der Sammlung von Büchern einsetzt:
»[B]ibliotheke means the slot for a book, books’ place of deposit, the place where
books are put (poser), deposited, laid down (reposer), the entrepôt where they are
stored: a bibliophylakion is the deposit or warehouse, the entrepôt, for books,
writings, nonbook archives in general; and the bibliopoleion is the bookstore or
librairie, a name, often given to the bibliothèque, and that has been kept, of course,
in English (›library‹).
As to the kinds of treatment these places have in store, let me just stress the
traditional words I had to use to describe them, and which are all leads to follow
for future reflection. These are the verbs poser, déposer, reposer, and entreposer.
Like the presence of the Greek thithenai (›to put‹) in bibliotheke, they all point up the
67 | Hypertext vermag es gleichermaßen aber, auf unterschiedliche Weise beide
Dimensionen der Auflösung der Einheit des Textes zu exemplifizieren. Die Auf-
spaltung des Texts in kleinere textuelle Einheiten und die Vervielfachung ihrer
Verknüpfungen – es gibt nicht mehr nur noch eine lineare Abfolge, sondern viele
mögliche Wege – widerstrebt auf einer ästhetisch-strukturellen Ebene jeder Sug-
gestion einer Einheit des Textes. Eingebettet in einem globalen Kommunikations-
und Informationsnetzwerk (wie dem World Wide Web) werden zugleich die äußeren
Grenzen des (Hyper-)Textes brüchig. Wie Baßler eingewendet hat, sind diese Formen
der Auflösung der Einheit des Texts nicht mit der von Barthes beschriebenen
Polysemie aller Texte gleichzusetzen (vgl. Baßler 2005: 307f.). Daher erweist sich
Landows These als problematisch, dass die poststrukturalistischen Texttheorien
in einer Theorie des Hypertexts münden. Allenfalls tritt an Hypertexten besonders
deutlich zu Tage, was Texte im Allgemeinen auszeichnet – ihre Vielheit.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242