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Computer 109
Bedingungen digitaler Medientechnologien wird das Verhältnis des Einen zum
Vielen jedoch auch praktisch zunehmend variabel. Dies hat W. Bradford Paley in
dem 2002 realisierten Kunstprojekt TextArc vor Augen geführt.71 TextArc eröffnet
»[a]n alternative way to view a text« (Paley 2002b), wie Paley beispielsweise an Alice’s
Adventures in Wonderland gezeigt hat. Der Text wird dabei nicht als lineare Ein-
heit erfahrbar, sondern als Sammlung von Worten, deren Beziehung zueinander
als Netzwerk visualisiert wird (vgl. Paley 2002a). Lewis Carrolls Buch erscheint als
Datensammlung, weil Paley den Text als eben solche behandelt.72 In diesem Sinn
kann TextArc als Experiment begriffen werden, das anhand der Häufigkeitsver-
teilung von Worten in einem Text sowie deren Beziehungen zueinander eine neue
Form der Kopplung von Oberfläche und Tiefe erkundet.73
Sein inneres ist gefüllt mit Blättern« (Sommer 2002a: 228). Doch nicht nur auf
der rein materiellen Ebene der Versammlung einzelner Seiten zu einem Ganzen
lässt sich das Buch, so Sommer, als eine Sammlung verstehen. Der Begriff
»Buch« meint nicht nur ein »handliches Ding«, sondern auch einen »verstehbaren
Bedeutungszusammenhang« (Sommer 2002a: 228), der sich ebenfalls als eine
Sammlung verstehen lässt: »Das unstoffliche Sinnganze besteht nun seinerseits
aus Teilen, zum Beispiel aus Kapiteln oder Paragraphen. Diese StĂĽcke sind kleinere
individuelle Bedeutungseinheiten: die collecta. Indem der Verfasser sie mit einem
Namen versieht, macht er sie identifizierbar. Als KapitelĂĽberschrift klebt er dieses
Namensetikett gleichsam ans Objekt, das deshalb fortan so heiĂźt, wie da zu lesen
steht« (Sommer 2002a: 229).
71 | Mit Valence hat der Informationsdesigner Ben Fry 1999 ein ähnliches Projekt
realisiert, in dem er zunächst Mark Twains Buch The Innocents Abroad visualisiert hat
(vgl. Fry 2009). Nach Ansicht von Fry entbehrt die Visualisierung eines Buchtextes
jedoch einem unmittelbaren Nutzen: »The book example is imperfect, because it
lacks a direct application, so it fails to be something that’s immediately useful« (Fry
2009). Daher ging er dazu ĂĽber, mit Valence das Nutzungsverhalten von Webseiten
sowie die Basenpaare eines Genoms zu veranschaulichen.
72 | Neben Alice’s Adventures in Wonderland hat Paley auch William Shakespeare’s
Hamlet sowie eine Sammlung von Texten des Project Gutenberg (www.gutenberg.
org/) als TextArc visualisiert. Die Visualisierungsmethode wurde 2007 unter dem Ti-
tel System and Method for Visual Analysis of Word Frequency and Distribution in a Text
patentiert. In dem Patent findet sich eine Beschreibung der Funktionen von TextArc
sowie ihrer technischen Realisierung (Paley 2007).
73 | Mit der Behandlung des Texts als Sammlung geht ein Wechsel der Interpretations-
ebene einher. Paley zeigt keine Alternative dazu auf, wie Texte auf dem Niveau eines
Texts gelesen werden können, sondern macht deutlich, dass Texte auch anderes
beinhalten, was potentiell fĂĽr Menschen oder Maschinen informativ ist. Voraus-
setzung hierfĂĽr ist, dass die eingenommene Perspektive an eine geteilte Interpre-
tationspraxis anschlieĂźbar ist.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Ăśber Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242