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Computer 115
Nebenordnung gebracht werden, die den zu analysierenden Texten im Prozess ihrer
Sammlung keine Interpretation einschreibt (vgl. Baßler 2005: 179).
Sofern dieser Anspruch durch computergestützte Datenbanken eingelöst wer-
den soll, erweist sich die vorgeschlagene Methode als problematisch, da die Be-
handlung von Bitfolgen als textuelle Einheiten im Kontext digitaler Medientech-
nologien aus zwei Gründen bereits eine Interpretation darstellt. Erstens ist die
Versammlung von Texten in einer digitalen Datenbank eine Transkription in dem
von Ludwig Jäger vorgeschlagenen Sinn, die das Skript mit hervorbringt, indem
es dieses als textuelle Einheit adressierbar und interpretierbar macht (vgl. Jäger
2002: 35).84 Möglicherweise ist dies bei der Sammlung von Texten vordigitaler Kul-
turen zu vernachlässigen, da sich deren Einheit in »einem komplexen System von
materiellen Institutionen« (Foucault 1981: 150) bereits stabilisiert hat. Im Hinblick
auf die Erzeugnisse der digitalen Medienkultur darf diese Voraussetzung jedoch
nicht außer Acht gelassen werden, denn auf die Frage, was als Text in die kul-
turwissenschaftliche Volltextdatenbank aufgenommen werden sollte, gibt es keine
einfache Antwort. Weder an der phänomenal zugänglichen Oberfläche, noch in der
unsichtbaren Tiefe des Computers existieren das Eine und das Viele an sich. Die Ein-
heit kultureller Texte kann daher nicht vorausgesetzt werden; sie wird im Prozess
der Sammlung erst konstituiert, wodurch nicht zuletzt alternative Betrachtungs-
weisen ausgeschlossen werden.85 Zweitens kann das Eine in Computern stets als
Vieles behandelt werden, ebenso wie das Viele als Eines zur Darstellung gebracht
werden kann. Diese Möglichkeit hat Gary Flake 2010 bei seiner Demonstration der
experimentellen Softwareanwendung Pivot auf der TED-Konferenz vorgeführt:
»We talk about the curse of information overload. We talk about drowning in data.
What if we can actually turn that upside down and turn the web upside down, so
that instead of one thing to the next, we get used to the habit of being able to go
from many things to many things, and then being able to see the patterns that were
otherwise hidden? If we can do that, then, instead of being trapped in data, we
might actually extract information. And, instead of dealing just with information, we
can tease out knowledge.« (Flake 2010)
Die Idee, mit der Flake spielt und deren experimentelle Umsetzung er an der Pivot-
Software demonstriert, beruht auf der Annahme, dass das Ganze des WWW
mehr Informationen beinhaltet als die Summe der Einzeldokumente.86 Will man
84 | Anders als Weinberger stützt Baßler seine Argumentation demzufolge nicht auf
die vermeintliche Entmaterialisierung von Information in digitalen Medien, sondern
auf der Idee der vorgängigen Einheit von Texten.
85 | Diese Annahme hat Manfred Sommer in seiner Phänomenologie des Sammelns
formuliert (vgl. Sommer 2002a: 26ff.).
86 | Flake rekurriert auf die These, dass das Ganze mehr als die Summe der Teile
sei, die Aristoteles zugeschrieben wird. In der Metaphysik heißt es: »Dasjenige,
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242