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Sender und Empfänger umkehren. Ist in Shannons Modell der Adressat einer Nach-
richt passiv, weil er die von einer Nachrichtenquelle oder einem Kommunikator an
ihn gerichtete Nachricht schlicht empfängt, kommt ihm im Modell von Mooers
eine aktive Rolle zu. Beim Information Retrieval ist es der Adressat, der entscheidet,
welche Nachrichten für ihn von Bedeutung sind, d.h. welche Informationen er sucht.
Da der Sender auf der anderen Seite nicht wissen kann, wonach der künftige Emp-
fänger einmal suchen wird, besteht seine Aufgabe darin, alle möglichen Nachrichten
auszusenden. Der Sender artikuliert streng genommen keine bestimmte Nachricht
mehr, sondern fungiert als Sammler, der alle möglichen Informationen zusammen-
trägt, die potentiell einmal von Bedeutung sein könnten. Übertragen werden die
Nachrichten in Form von Dokumenten, bei denen das Rauschen einer Störquelle,
anders als in Shannons Konzeption, kein Problem mehr darstellt. Insofern ver-
schwindet das Rauschen des Kanals in Mooers’ Modell und wird allenfalls implizit
auf Seiten des Suchenden wiedereingeführt, wenn dieser nicht nur Unbekanntes,
sondern Unerwünschtes findet.34 Damit sind die zentralen Elemente von Mooers’
Kommunikationsmodell des Information Retrieval beschrieben, welches zwar
in Anlehnung an Shannons Modell formuliert wurde, aber in zentralen Punkten
mit ihm bricht. Infolgedessen kann das nachrichtentechnische Modell von Kom-
munikation nicht als alleinige Basis des medientheoretischen Denkens über Infor-
mationstechnologien dienen. Vielmehr gilt es, die Spezifik der Kommunikation
mit Informationssammlungen anzuerkennen und danach zu fragen, welche For-
schungs- und Untersuchungsperspektiven sich hieraus für die medientheoretische
Analyse digitaler Datenbanken eröffnen.
Das Kommunikationsmodell des Information Retrieval besetzt die Leerstelle
zwischen abstraktem Informationsbegriff und partikularen Informationstech-
nologien bzw. informationellen Praktiken. Es bildet den Hintergrund, vor dem sich
die spezifischen Informationsprobleme abzeichnen, die es durch die Entwicklung
von Information Retrieval-Technologien zu lösen gilt. Aus den unterschiedlichen
Modellierungen von Kommunikation resultieren verschiedene Perspektiven auf
Information. Hierauf hat Robert A. Fairthorne, der ebenfalls zu den Pionieren der
Informationswissenschaft zählt, in dem 1954 publizierten Aufsatz The Theory of
Communication hingewiesen:
»[T]he communication engineer has different interests. In particular he is not
concerned with completed messages, but how to deal with bits of them during
the course of communication. He cannot do much to alter the temporal order of
34 | Michel Serres hat die relative Unterscheidung von Signal und Rauschen im
Anschluss an Shannon ins Zentrum seiner kommunikationsphilosophischen Theorie
des Parasiten gerückt (Serres 1987). Sollte die Unterscheidung von unbekannten
und unerwünschten Suchergebnissen ihre Entsprechung in derjenigen von Signal
und Rauschen finden, dann ließe sich das Suchen und Finden von Informationen
ebenso als parasitär beschreiben.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242