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Banken, Basen, Reservoirs 201
Wenn Sommer auf die Mittelbarkeit und damit auf die Konstruiertheit von
Daten hinweist, rekurriert er implizit auf das Begriffsverständnis der neuzeitlichen
Wissenschaften, welches, wie Rheinberger herausgestellt hat, der etymologischen
Bedeutung des Datenbegriffs entgegenläuft:
»Dem lateinischen Wortsinn nach sind die Daten das Gegebene, die Fakten hin-
gegen das Gemachte. Nun ist es verblüffend, dass im Sprachgebrauch der neu-
zeitlichen Wissenschaften sich die Bedeutung der beiden Begriffe genau umgedreht
hat: Daten werden als etwas von Instrumenten gemachtes und von Prozeduren her-
vorgebrachtes angesehen, während Fakten als etwas gegebenes angenommen und
unterstellt werden.« (Rheinberger 2007: 117)
Diese Umdeutung des Begriffs erfährt unter den Bedingungen digitaler Medien-
technologien eine erneute Umkehrung, die sich in dem Verständnis von Daten als
digitalem Text widerspiegelt. Hierbei sind Daten das Gegebene, mit dem einerseits
Computer und andererseits Menschen mittels Computern operieren. Dies zeige sich,
so Rheinberger, auch in der Wissenschaftspraxis, die »von der hypothesengeleiteten
zur datengeleiteten Forschung« (Rheinberger 2007: 123f.) übergeht.89 Am Daten-
begriff tritt damit der Schriftcharakter sowie der Aspekt ihrer Verkörperung res-
pektive Speicherung in den Vordergrund, weshalb Rheinberger in der Bedeutungs-
verschiebung keine metaphorische Ausweitung des Datenbegriffs erkennt, sondern
eine Rückkehr zu dessen etymologischer Wurzel.
Die widersprüchlichen Deutungen von Sommer und Rheinberger sind symp-
tomatisch für den Gebrauch des Datenbegriffs in der digitalen Medienkultur. Sie
resultieren aus der Inanspruchnahme verschiedener Begriffsverständnisse als pri-
märer Bedeutungsvariante und dem Absehen von den je anderen Gebrauchsweisen
des Begriffs. Durch diese Interpretationen wird verdeckt, dass Daten nicht eindeutig
bestimmt sind und sie demzufolge gleichermaßen als Gemachtes und als Gegebenes
erscheinen und gebraucht werden. Deutlich wird dies am Begriff der Datenbank,
in den die unterschiedlichen Verständnisse von Daten eingehen. In der Datenbank
als Speicher, Ressource und Basis überkreuzen sich die verschiedenen Verständ-
nisse von Daten als digitaler Text, als Übersetzung bzw. Vorstufe von Information,
als spezifische Form von Information und als Inhalt technischer Operationen. Die
in der Datenbank enthaltenen Daten sind zugleich Konstrukt und Gegebenes. Sie
sind Resultat der Versammlung, Übersetzung, Formatierung und Inskription von
Information sowie Ressource für Auswertung, Interpretation, Kombination und
Rekombination von Daten zu Information. Datenbanken versammeln Daten, die
wird. Daten sind demzufolge nur dann unmittelbar sammelbar, wenn sie mit den
materiellen Inskriptionen gleichgesetzt werden. Numerische Informationen über
Realität sind hingegen nicht unmittelbar sammelbar, da sie keine Dinge, sondern
Sätze bezeichnen.
89 | Siehe hierzu auch S. 311ff.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242