Page - 247 - in Digitale Datenbanken - Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
Image of the Page - 247 -
Text of the Page - 247 -
Techno-Logik 247
die Herausbildung von technisch abgeschlossenen Informationssilos im Internet,
deren Offenheit und Anschlussfähigkeit nach außen hin nicht in die Gestaltung der
technischen Informationsinfrastruktur eingeschrieben ist, sondern nur ein kon-
tingentes Feature des Service darstellt, über das die Nutzer keine Kontrolle haben
und auf das sie sich in letzter Konsequenz nicht verlassen können.62 Die Abkehr
von der Konsistenzforderung hat darüber hinaus zur Konsequenz, dass die auf eine
Suchanfrage zurückgegebenen Informationen nicht notwendig dem neuesten Stand
entsprechen und dementsprechend nicht mehr aktuell oder sogar falsch sind. Unter
den Bedingungen millionenfacher Änderungen und Abfragen im Echtzeitbetrieb
begnügt man sich mit Eventual Consistency (vgl. Vogels 2008). Real Time bedeutet
dabei stets unsichere Information, was durch das Versprechen der Aktualität des
Echtzeitbetriebs systematisch verdeckt wird.
Welche genauen Auswirkungen diese jüngsten Veränderungen in der medien-
technischen Infrastruktur von Informationssystemen auf die digitale Medienkultur
haben werden, die sich in ihrem Rahmen etabliert, lässt sich noch nicht absehen.
Um die sich abzeichnenden Transformationen beschreiben zu können, gilt es zu-
nächst das relationale Paradigma genauer zu betrachten. Einen Ansatzpunkt bietet
der in den 1970er Jahren ausgefochtene Disput um das beste Datenmodell (vgl.
hierzu auch Gugerli 2007a, 2009). Als Gegenspieler Codds trat insbesondere Charles
Bachman auf, der nicht nur als einer der Erfinder des Netzwerkdatenmodells gilt,
sondern auch sein vehementester Fürsprecher war.63
Den Kern des Streits bildete die Frage, welche Mathematik der Verwaltung von
Informationssammlungen in Datenbanken zugrunde gelegt werden soll. Diese
Grundsatzentscheidung hatte weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung und
Verwendung von Datenbanksystemen. Bachman rückt den Programmierer als zen-
trale Vermittlungsfigur ins Zentrum, der als »Navigator, Architect, Communicator,
Modeler, Collaborator, and Supervisor« (Bachman 1987: 281) fungieren soll. Dem-
gegenüber fordert Codd die Ermächtigung der Endnutzer, die in die Lage versetzt
DBMS nicht mehr als Informationen adressiert werden. Die Attribuierung und Ver-
waltung von Bedeutung wird auf die Ebene des Informationssystems verlagert.
62 | Dies wird immer dann offenkundig, wenn Serviceanbieter Dienste einstellen
oder deren Gebrauch einschränken, wie z.B. durch Änderungen am Application Pro-
gramming Interface (API).
63 | Es gilt anzumerken, dass Bachman der Bezeichnung des CODASYL-Daten-
modells als Netzwerkdatenmodell skeptisch gegenüber stand: »Let me try to answer
why I have not used the word ›network‹, although I think many people would cha-
racterize IDS and DBTG-like systems as network systems. The reason I avoided it
is that the basic data-structure-set (or owner-coupled set as Ted Codd described
it) is simply a facility for describing an owner-coupled set. With such a mechanism
you can describe very complex hierarchies, you can describe trees (somewhat in
contradiction to what Ted said), and you can describe networks of like objects or
networks of unlike objects« (Anonymus 1974: 123f.).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242