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Techno-Logik 257
werden müssen (vgl. Codd 1970: 377).79 Dies ermöglicht das relationale Datenmodell
mit der bereits erläuterten Ersetzung physischer Links (Pointer) zwischen Daten-
sätzen durch logische Verknüpfungen (Fremdschlüsselbeziehungen) zwischen Rela-
tionen. Dies hat zur Folge, dass die Zusammenhänge zwischen Tupeln (Datensätzen
über Entitäten) in der Tiefe des Computers nur noch latent gegeben sind und an der
Oberfläche vermittels der Verbundoperation aktualisiert werden müssen.80
Ein Nebeneffekt dieser Verlagerung ist die enorme Flexibilisierung von Such-
anfragen an der Oberfläche. Das relationale Datenmodell erleichtert die For-
mulierung von Suchanfragen nicht nur für die »truly casual user« (Date/Codd
1975: 95), sondern erweitert auch die prinzipiellen Suchmöglichkeiten. Datenbank-
informationen können auf nicht vorhergesehene Weise zueinander in Beziehung ge-
setzt werden, sodass man zu Informationen gelangen kann, die »quer zu den bereits
erfassten Daten« (Gugerli 2007a: 27) liegen. In relationalen Datenbanken kann man
durch die Formulierung von Suchanfragen neuartige »Zusammenhänge simulieren,
überprüfen und erkennen« (Gugerli 2007a: 30), die während der Formalisierung des
konzeptuellen Datenbankschemas noch nicht antizipiert wurden. Daher ist der Ein-
schätzung Gugerlis beizupflichten, dass mit der relationalen Datenbank eine »Such-
maschine von präzedenzloser Radikalität« (Gugerli 2009: 81) geschaffen wurde.
In der Datenbank nach etwas zu suchen bedeutet nicht nur das bloße Auffinden
von Informationen in einem Bestand. Die Suche wird zu einem kreativen Akt,
bei dem sich unbekannte Zusammenhänge erkunden und erforschen lassen. Aus
Bekanntem kann Neues entstehen. Die Datenbank als geschützte Aufbewahrungs-
stätte vorhandener Informationen wird zur Basis für das Entdecken neuer Infor-
mationen. In diesem Zusammenhang lässt sich die Formulierung einer Suchanfrage
(mit Verbundanweisung) als Spielzug in dem von Lyotard beschriebenen Spiel voll-
ständiger Information verstehen (Lyotard 2009 [1979]: 126).81 Ein solcher Spielzug
bringt eine Hypothese zum Ausdruck, deren Gültigkeit nicht allein daraus ge-
schlossen werden kann, dass die Suchanfrage ein Ergebnis liefert. Dies wurde bereits
in dem oben genannten Beispiel der Verknüpfung von Informationen über ein
Buch mit Informationen über dessen Autor deutlich. Erst die Angabe eines tertium
79 | Die von Codd geforderte Nutzerorientierung rief, wie Gugerli darlegt, auch des-
halb Widerstand hervor, weil sie einen zentralen Grundsatz guter Programmierung
infrage stellte. Aufgrund der begrenzten Leistungsfähigkeit von Computern galt
es, möglichst effizient die geringen Rechen- und Speicherkapazitäten auszunutzen
(Gugerli 2009: 74).
80 | Eine zweite, für die hier verfolgte Fragestellung weniger bedeutsame Kon-
sequenz ist, dass sich beim Einfügen von Informationen in die Datenbank die In-
tegrität nicht aus den physischen Verknüpfungen zwischen Datensätzen oder Tupeln
erschließen lässt, sondern einer logischen Prüfung unterworfen werden muss, wobei
die Integritätsregeln im konzeptionellen Schema formal expliziert werden müssen.
81 | Zu Lyotards Beschreibung des postmodernen Wissens als Spiel vollständiger
Information siehe auch S. 183f.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242