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Digitale
Datenbanken302
technischen Prozesse immer denselben oder zumindest ähnlichen Prinzipien
folgen.38 Ein Indiz hierfür ist der generalisierende und undifferenzierte Verweis auf
die Macht des Algorithmus, der einen beliebten Topos in aktuellen Debatten über die
digitale Medienkultur darstellt (vgl. Passig 2012). Anstatt die Vielfalt der algorith-
misch gesteuerten Informationsverarbeitungsprozesse im Computer differenziert
zu betrachten, wird der Algorithmus als »undurchschaubare, orakelhafte« (Röhle
2010: 14) Macht mystifiziert.39
Um die vermeintliche Allmacht von Algorithmen als Mythos zu entlarven und
die tatsächliche Macht von Algorithmen besser zu verstehen, gilt es auch die An-
nahmen zu betrachten, die in die Gestaltung und Funktion von Anfrage-Inter-
faces einfließen. Zwischen den Extrempolen streng formalisierter, für Nutzer
anforderungsreicher Anfragesprachen40 und natürlichsprachlicher Anfrage-Inter-
faces41 dominiert in der heutigen Medienpraxis die Suche mit lose aneinander-
gereihten Schlagworten. Abgesehen von der Angabe der Suchbegriffe müssen wei-
tere Suchkriterien dabei nicht mehr in einer formalen Anfragesprache expliziert
werden. Diese sind vielmehr als implizite Vorannahmen in das Anfrage-Interface
eingeschrieben. In der Standardsuche von Google werden Suchworte beispiels-
38 | Die Verdeckung der Unterschiede zwischen Suchtechnologien durch Such inter-
faces ist fraglos nicht die einzige Ursache für das genannte Problem. Zum Teil ist
dieses auch auf das Desinteresse vieler Nutzer gegenüber der Funktionsweise der
von ihnen verwendeten Technologien zurückzuführen.
39 | In den vergangenen Jahren wurde die Macht von Suchmaschinen in vielfältigen
Beiträgen diskutiert. Wie Röhle in seiner Rekonstruktion der in dieser Debatte ver-
tretenen Positionen herausarbeitet, wird in diesem Zusammenhang häufig das Bild
eines (utopischen oder dystopischen) Determinismus gezeichnet, in dem die Macht
der Algorithmen beschworen wird (vgl. Röhle 2010: 25ff.)
40 | Ein Beispiel hierfür sind die bibliographischen Information Retrieval-Systeme der
1970er und 1980er Jahre, die von ihren Nutzern zumeist die Kenntnis einer forma-
lisierten Anfragesprache erforderten, welche es ihnen vor allem durch die explizite
Verwendung boolescher Operatoren ermöglichte, komplexe Such bedingungen zu
formulieren, nach denen Informationen aus der Datenbank selektiert wurden (vgl.
Borgman 1996: 493ff.).
41 | Das Ziel natürlichsprachlicher Anfrage-Interfaces ist, dass sich die Nutzer
nicht den Anforderungen des Suchsystems anpassen müssen, sondern dass das
System an die Sprache der Nutzer angepasst ist. Die technische Erfüllung dieses
Versprechens wurde bereits 1996 von der Suchmaschine AskJeeves in Aussicht
gestellt (vgl. Krajewski 2009; 2010: 149ff.). In der medialen Praxis konnten sich
natürlichsprachliche Anfragesysteme bisher dennoch nicht durchsetzen. Heute fin-
den sich natürlichsprachliche Anfragesysteme vor allem bei faktenbezogenen Infor-
mationen. Die Wissensmaschine Wolfram Alpha (www.wolframalpha.com) kann bei-
spielsweise die Frage »What is the country with the fifth largest population?« richtig
interpretieren und die korrekte Antwort ›Brasilien‹ ausgeben.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242