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Phänomeno-Logik 313
terroristischen Gruppierungen und einen möglichen Anschlag hatten, sondern
gerade weil sie über diese Informationen verfügten. Das Problem bestand darin,
dass man nicht in der Lage war, die verschiedenen Informationen zum Bild eines
Terroristen und zur Prognose eines möglichen Anschlags zusammenzuführen. Zu
diesem Schluss kommt der offizielle Untersuchungsbericht des Weißen Hauses. Das
Hauptproblem lag demzufolge bei den Geheimdiensten, die daran scheiterten, einen
Zusammenhang zwischen den Informationen herzustellen: »[T]he CT [Counter-
terrorism, M.B.] community failed to connect the dots« (White House 2010).
Anders als es der Bericht nahelegt, ist die Ursache für dieses Scheitern jedoch
nicht allein auf die Nachlässigkeit der Geheimdienste bei der Auswertung und
Analyse von Informationen zurückzuführen, sondern auch auf den Überschuss
an Informationen, welcher die menschlichen Verarbeitungskapazitäten übersteigt
und damit nur noch computergestützten Analysemethoden zugänglich ist. Diese
Verfahren beruhen auf Algorithmen, die Informationsbestände gemäß bestimmter
Regeln automatisch interpretieren. Hierauf gründen gleichermaßen die Chancen
und Risiken der computergestützten Auswertung von Informationen. Algorithmen
analysieren Informationssammlungen nach einem vorgegebenen Muster, wodurch
diese in einen bestimmten Bedeutungskontext gestellt werden.
Abb. 24: Neun-Punkte-Problem
Um in Informationssammlungen Zusammenhänge zu erkennen und denselben
Informationen einen neuen Sinn zu entlocken, ist es jedoch notwendig, mit einem
bestimmten, vorgegebenen Kontext oder Rahmen zu brechen. Auf einfache Weise
lässt sich dies an dem Neun-Punkte-Problem verdeutlichen, bei dem neun im
Quadrat angeordnete Punkte durch vier Geraden miteinander verbunden werden
sollen. Dieses Puzzle lässt sich nur dann lösen, wenn die Linien über die Grenzen
des Quadrats hinaus gezogen werden, weshalb das Neun-Punkte-Problem als Sinn-
bild für die im englischen geläufige Redewendung »thinking outside the box« dient.
Hieran scheitern Algorithmen, da sie nur im Rahmen ihrer eigenen Funktionslogik
operieren können.
Auch wenn die Möglichkeit, dass die Zukunft mithilfe avancierter Computer-
technologien vorhergesagt werden kann, einen beliebten Topos der Populärkultur
darstellt, ist dies noch immer weitgehend Science Fiction. Daher wird man sich
unter den Bedingungen der sicherheitspolitisch motivierten Zunahme an Über-
wachung künftig vermehrt mit dem Problem konfrontiert sehen, dass sich Ereig-
nisse wie Terroranschläge schon immer in den Daten angekündigt haben werden.
Das Wissen der Datenbank ist hierbei ein Wissen post Faktum im Konjunktiv II:
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242