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Digitale
Datenbanken330
verhältnis zum menschlichen Interpretationsvermögen. Digitalen Informations-
sammlungen wohnt somit stets ein Bedeutungsüberschuss inne, der technisch
nicht eingeholt werden kann. Diese semantische Unterbestimmtheit birgt Konflikt-
potenzial, kann jedoch an den Benutzeroberflächen der Computerbildschirme auch
Handlungs- und Interpretationsspielräume eröffnen. So beruht die Etablierung
unterschiedlicher Nutzungsformen und Nutzungskulturen von Facebook und
Twitter in erheblichem Maß auf der unbestimmten Offenheit der zugrunde gelegten
Informationsmodelle und Datenstrukturen.5
Neben der medientheoretischen Betrachtung von Apparaturen der Datenspei-
cherung und Architekturen für Datenunabhängigkeit, welche den materiellen und
konzeptuellen Horizont digitaler Datenbanksysteme im engen Sinn von DBMS
bilden, galt es die konkreten Verfahren der computertechnischen Verwal
tung
von Informationssammlungen in den Blick zu nehmen. Besonderes Augenmerk
wurde auf das relationale Datenmodell gelegt, das sich spätestens seit Anfang der
1980er Jahre als maßgebend erwies, aber unter den Bedingungen stetig wachsender
Datenmengen zunehmend an seine Grenzen gelangt. Dieses Modellierungs- und
Verwaltungsverfahren bedingt einerseits, wie Informationen in Datenbanken
struk turiert gespeichert werden, und andererseits, wie Nutzer mit Datenbankin-
formationen umgehen können, d.h. wie sie diese abfragen und auswerten können.
Für den nachhaltigen Erfolg des relationalen Paradigmas sind zwei Ursachen an-
zuführen: Erstens ermöglicht der Rückgriff auf die Mengenlehre, d.h. die mengen-
theoretische Konzeptualisierung von Datenbanken, die mathematische Forma-
lisierung von Operationen nicht nur mit einzelnen Informationseinheiten, sondern
mit Informationssammlungen; zweitens verfügt das relationale Datenmodell mit
der Tabelle als conceptual representation der Tiefenstruktur der Datenbank über
eine geeignete Denkfigur, welche Nutzern das Nachdenken über Datenbank-
operationen und das Arbeiten mit Datenbanken weitgehend ohne mathematisches
Vorwissen ermöglicht.
Die Verschränkung der Mengenlehre mit der Denkfigur der Tabelle im rela-
tionalen Datenmodell hat zwei medienpraktische Konsequenzen nach sich gezogen.
Zum einen ist es beim Umgang mit relationalen Datenbanken nicht mehr notwendig
anzugeben, wie Informationen in einer Datenbanken zu speichern bzw. zu finden
sind, sondern mit SQL zu deklarieren, was gespeichert bzw. gesucht wird. Dieser
5 | Zu Kulturen des Favorisierens auf Twitter siehe exemplarisch Paßmann et al.
(2014). Darüber hinaus ist jedoch auch zu konstatieren, dass Facebook, Twitter
und andere Web 2.0-Angebote unser kommunikatives Handeln mitunter auf
problematische Weise formatieren. Diesbezüglich unterstreicht Simanowski die
Arbitrarität der Selbstbeschreibungskategorien in Facebooks Timeline (vgl. 2012a:
23), in denen sich Bunz zufolge die affirmative Diskurslogik zeigt, welche dem
sozialen Netzwerk eingeschrieben ist: »Facebook barely needs to discipline its
users, instead it rather designs their actions, and these are positive« (Bunz 2013:
138).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242