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Digitale
Datenbanken340
von Unwichtigem und Wertvolles von Wertlosem zu unterscheiden.19 Neben dem
Hinweis auf die generelle Schutzwürdigkeit unserer digitalen Vergangenheit dient
diese Schwierigkeit Kahle und dem Internet Archive bemerkenswerterweise als wei-
teres Argument für ihr Unterfangen, die Geschichte des ganzen Web zu bewahren.
Mit digitalen Computertechnologien ist es leichter, alles zu sammeln und zu
speichern, als eine Auswahl zu treffen (vgl. Kahle 2007: 24). Hierdurch wird das von
Mayer-Schönberger aufgeworfene Problem jedoch nicht gelöst, sondern verschoben.
Wird bei der Archivierung keine Auswahl getroffen, muss dies bei der späteren Nut-
zung des Archivs geleistet werden. Bislang fehlen jedoch geeignete Werkzeuge, um
effektiv im Webarchiv relevante historische Informationen zu finden. Abgefragt
werden können archivierte Webseiten nur unter Angabe der genauen URL mit der
sogenannten Wayback Machine, die eine Liste historischer Versionen der Webseite
ausgibt, aus der die Nutzer die für sie interessanten Zeitpunkte auswählen können.20
Infolgedessen stellt nicht nur die Bewahrung des Vergangenen eine Heraus-
forderung dar, sondern auch die Nutzbarkeit des Archivs, welche die Voraussetzung
für spätere Archivlektüren bildet. Ohne effektive Zugriffsmöglichkeiten fallen die
Ressourcen des Webarchivs ebenso dem Vergessen anheim: »Das Sammeln und das
Aufbewahren entwickeln sich scheinbar paradox zu einem Vernichtungsakt« (Hoff-
mann 1997: 272).
Schließlich ist zu bedenken, dass nicht nur Webseiten rasanten Veränderungen
unterliegen. Auch das Web als Ganzes hat seit der Gründung des Internet Archive
tiefgreifende Veränderungen durchlaufen. Das Aufkommen des Web 2.0 kann
in dieser Hinsicht als Oberbegriff für vielfältige Entwicklungen weg von der
Dokumentlogik des Web der ersten Generation verstanden werden. Kollaborative
Online-Enzyklopädien wie Wikipedia, soziale Netzwerke wie Facebook und
Mikrobloggingdienste wie Twitter erfordern alternative Archivierungsstrategien.21
Da das Internet Archive weiterhin an der Dokumentlogik und der crawlerbasierten
Archivierung festhält, wird die Geschichte des Web 2.0 in diesem Webarchiv nicht
oder nicht adäquat abgebildet. Infolgedessen hat das Internet Archive spätestens seit
19 | Um im digitalen Zeitalter das Vergessen wieder zu ermöglichen, schlägt Mayer-
Schönberger ein Verfallsdatum für digitale Daten vor: »Führen wir ein Ablaufdatum
für Daten ein und verpflichten Softwarehersteller, Software zu erzeugen, die
neben dem Erstellungsdatum, der Dateigröße und dem Verfasser und anderen
Metainformationen auch ein Ablaufdatum vorsieht. Technisch ist dies kein Problem«
(Mayer-Schönberger 2008: 15). Hierdurch könne zwar potenziell Wertvolles gelöscht
werden, aber dies sei weniger schlimm, als in wertlosen Informationen zu ertrinken.
20 | Die Implementierung von effektiven Zugriffs-, Such- und Auswertungsmecha-
nismen für das Webarchiv stellt eine erhebliche technische Herausforderung dar
(vgl. Arms et al. 2006a, b).
21 | Zum Teil verfügen diese Web 2.0-Angebote über eigene Archivierungsstrategien,
wie z.B. die Versionsgeschichte von Wikipedia-Einträgen.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242