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Zwischen Abenteuer und Architektur 021
sung in den Stilen der Vergangenheit und der innovati-
ven Anwendung des vorgefundenen Formenvokabulars
bei neuen Bauaufgaben, wie etwa Bahnhöfen oder Ban-
ken. Rolf, den an der Architektur der künstlerische Aspekt
immer schon besonders interessiert hatte, wählte daher
ebenfalls den Weg dieser weiteren Ausbildung. Allerdings
inskribierte er schon im Herbst 1909 an der Akademie,
während er noch sein letztes Studienjahr an der Techni-
schen Hochschule absolvierte. Es gelang ihm sogar, in die
Meisterklasse von Otto Wagner ( 1841–1918 ) aufgenom-
men zu werden, der zu diesem Zeitpunkt als Begründer
der Wiener Frühen Moderne bereits einen internationa-
len Ruf genoss und einen dementsprechend großen An-
drang an Studenten zu verzeichnen hatte. (Abb. 8)
Allerdings verließ Rolf die Akademie bereits nach
vier Semestern ohne Zeugnis, da für einen positiven
Abschluss eine Studiendauer von sechs Semestern Voraussetzung war. Es ist anzu-
nehmen, dass finanzielle Gründe für diesen Schritt ausschlaggebend waren. Denn Rolf
erhielt als Halbwaise zwar während seines Studiums an der Technischen Hochschule
das sogenannte »Königswarter Stipendium«, aber die letzte Zahlung erfolgte im Som-
mer 1910, und für Rolf waren daher ab diesem Zeitpunkt die gesamten Studiengebüh-
ren zu entrichten. Da im Archiv der Akademie weder Zeugnisse noch sonstige Hinwei-
se auf seinen Studienverlauf existieren, wäre es durchaus möglich, dass Rolf nicht nur
auf den Besuch des letzen Studienjahres verzichtete, sondern auch schon während der
zwei Jahre, die er inskribiert hatte, nur sporadisch die Vorlesungen und Übungen be-
suchte, um einem Gelderwerb nachzugehen. Denn Rolf war im Jahr 1910 bereits als Mit-
arbeiter in Otto Wagners Atelier beschäftigt, der ab dem Jahr 1894 mit der Errichtung
der Wiener Stadtbahn sowie mit Gebäuden im Zusammenhang mit der Regulierung der
Donau betraut war.
Im gleichen Jahr, als Wagner mit seinen Großprojekten begann, erreichte ihn auch
die Berufung als Leiter der Meisterschule für Baukunst an die Akademie der bilden-
den Künste. Für Wagner, der sich im Zenit seines Schaffens befand, begannen damit
die fruchtbarsten und erfolgreichsten Jahre seiner Karriere. Während in der parallel ge-
führten Lehrkanzel von Viktor Luntz, einem ehemaligen Schüler von Friedrich Schmidt,
nach wie vor die Bauweise der vergangenen Epochen gelehrt wurde, sagte sich Wagner
von der historistischen Baukunst los und etablierte sich durch zahlreiche Schriften, ins-
besondere sein Werk »Moderne Architektur« ( 1895 ), als wichtiger Theoretiker und Vor-
8 Rolf als Wagner-Schüler
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273