Page - 23 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Zwischen Abenteuer und Architektur 023
Seine Naturverbundenheit lieĂź Rolf ausgedehnte
Wanderungen unternehmen, und eine fĂĽhrte ihn bei-
spielsweise nach SĂĽdtirol, das damals noch zur Mon-
archie gehörte. In Levico, in der Nähe von Trient, be-
trieb ein Cousin, Dr. Otto Liermberger, ein Sanatorium,
und gleichsam als Service an seiner Klientel erarbeite-
te Liermberger einen FĂĽhrer, der die Beschreibung von
Orten der Umgebung und diverse Wanderrouten be-
inhaltete. Rolf, ausgestattet mit einer Glasplattenkame-
ra, steuerte viele Abbildungen, aber auch Vorschläge für
Wanderungen bei. Im Jahr 1912 publizierte Liermberger
die Ergebnisse dieser Kooperation und hielt im Vorwort
des von ihm herausgegebenen Führers fest: »Für die wei-
tere Umgebung dienten ihm [  dem Verfasser  ] in erster
Linie die Aufzeichnungen seines Vetters Ing. Rolf Gey-
ling aus Wien, der im Herbst 1908 und 1909 die ganze im ›Führer‹ behandelte Gegend
durchwanderte und hierbei eine groĂźe Zahl zum Teile auch hier verwertete photogra-
phische Aufnahmen machte. Ihm sei hierfür besonderer Dank zum Ausdruck gebracht«.5
Erwachsen geworden, hatte Rolf zwar seinen jugendlichen Leichtsinn hinter sich ge-
lassen, nicht jedoch seine Abenteuerlust. Zum Beispiel unternahm er einen Sommer lang
eine ausgedehnte Wanderung durch Bosnien-Herzegowina, ein Land, das damals kei-
neswegs Ziel von Touristenreisen war. Die gesamte Region war seit dem Jahr 1463 unter
osmanischer Herrschaft gestanden und wurde erst 1878 der österreichisch-ungarischen
Verwaltung unterstellt. Es gab damals noch keine nennenswerte Infrastruktur, und ins-
besondere im Landesinneren gab es auch keine Herbergen. So konnte Rolf nur – aus-
gestattet mit einem kleinen serbokroatischen Wörterbuch – Bauern oder Hirten um Un-
terkunft bitten. Im Freien zu übernachten war selbst ihm zu gefährlich, da es einerseits
giftige Skorpione und Schlangen gab und man andererseits mit räuberischen Überfällen
rechnen musste. Heimlich in Ställen und Heustadeln Unterschlupf zu suchen wäre eben-
falls riskant gewesen, zumal die Bevölkerung äußerst misstrauisch gegenüber Fremden
war, was nicht zuletzt auf den religiösen Unterschieden zwischen dem muslimischen Bal-
kan und dem katholischen Kernland der Monarchie beruhte. Jedenfalls berichtete Rolf,
dass er ständig auf der Hut sein musste, um nicht – womöglich durch Verständigungs-
probleme – in einen Streit zu geraten, denn die Männer waren nur allzu schnell bereit,
zu ihren langen Messern zu greifen, die sie ständig im Gürtel trugen.
5 O. Liermberger: Levico-FĂĽhrer. 1. Teil: Land und Leute. Wien 1912; S. XIf. 9 Rolf auf der Jagd
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273