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Die Jahre in Sibirien 101
ßer dem inneren Befestigungsgürtel, 3.Kl. Wagen recht angenehm. Gew. Vorm. [  Gewehr-
Vormeister  ] Mayer ist noch in Kiew gewesen und bleibt von da ab bei mir als Diener bis
erste Woche in Tetjuschi [  = Tetjonschi  ].
29. Juni Nachmittags in der Station Kursk. Hier werden alle slawischen Offiziere und Sol-
daten auswaggoniert um in anderer Richtung weiterzugehen, wir sollen noch 3 Tage
auf der Bahn bleiben und nach Bensa kommen. Russ. Rekruten werden eben gebracht,
schwache Burschen; in der Stadt sollen 5 japanische Korps sein  ?
Die von den Russen als befreundet eingestuften slawischen Heeresteile der k. u. k. Mo-
narchie wurden nach ihrer Gefangennahme in der Regel nicht nach Sibirien abtrans-
portiert, sondern im europäischen Russland untergebracht. Mit dieser Maßnahme soll-
ten die slawischen Gefangenen »zu russischen Untertanen umerzogen«18 werden, um
in weiterer Folge sogar das russische Heer zu ergänzen. Die zaristische Armee erhielt
jedoch auch von anderer Seite ethnische Verstärkung. Schon zu Kriegsbeginn gerieten
viele Tschechen im Kampf gegen die slawischen »Bruderstaaten« Serbien und Russland
in Gewissenskonflikt, und bereits in den ersten Kriegsmonaten, insbesondere aber im
Jahr 1915, musste die k. u. k. Armee eine große Zahl an Überläufern zu den russischen
Truppen verschmerzen.
Wenn man bedenkt, dass von rund zwei Millionen Angehörigen der k. u. k. Armee,
die in russische Gefangenschaft gerieten, ca. die Hälfte Slawen waren, so wird verständ-
lich, dass angesichts dieser unvorstellbar hohen Anzahl die Trennung von Slawen und
Nichtslawen keinesfalls lĂĽckenlos erfolgen konnte. Einerseits bedeutete diese Aufgabe
eine zusätzliche administrative Belastung, der die militärischen Ausführungsorgane ins-
besondere Ende 1914, Anfang 1915, nicht gewachsen waren, als die Zahl der Kriegsge-
fangenen bislang unvorstellbare Ausmaße angenommen hatte. Andererseits »gelang es
den russischen Militärs mitunter nicht, im babylonischen Sprachgewirr der Donaumo-
narchie die ›slawischen Brüder‹ zu finden.« ( 
Nachtigal: Privilegiensystem, S. 175  ) Auch
Rolf erwähnt mehrmals slawische Mitgefangene, welche von den für sie vorgesehenen
Privilegien nicht profitieren konnten und stattdessen gleichfalls in den weit entfernten,
schlechter versorgten sibirischen Lagern anzutreffen waren.
Am 30. 6. wurde der Transport in mehreren Etappen über Bensa [  = Penza 
] Richtung
Kasan [ 
= Kazan  ] fortgesetzt.
18 R. Nachtigal: Privilegiensystem und Zwangsrekrutierung. In: Kriegsgefangene im Europa des
Ersten Weltkriegs / hrsg. von Jochen Oltmer. – Paderborn; Wien [  u. a.  ] 2006, S. 167 ff.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273