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Kriegsgefangenschaft 106
28. Aug. Nach einem Schreiben vom russischen Kriegsministerium wird uns das Tragen
unserer Distinktionen wieder gestattet; so ist diese größte Niedertracht beseitigt und wir
nähen uns sofort wieder unsere Zeichen auf.
29. Aug. Bekomme erste Karte von meiner Mutter (  mit der Nachricht, daß ich Milit. Ver-
dienstkreuz III. Klasse m.d. Kriegsdekoration erhalten habe 
!  ). Von Mädi keine Nachrich-
ten mehr; muß wohl an der Grenze Schuld liegen. Politische Beziehung  ?
30. Aug. Wir lernen fleiĂźig Sprachen, vormittags etwas Englisch nach Berlitz-Methode,
dann ziemlich viel Französisch bis zum Mittagessen. Nachmittags meist noch etwas Rus-
sisch. Nur die Spaziergänge mit dem Fußballspiel die lassen wir nicht fallen.
1. Sept. Mein FuĂź ist recht schlecht; auĂźerdem bricht mein Darmkatarh, eine Folge einer
leichten Ruhr vom Winter wieder aus.
Lese »Amerika« von Arthur Holitscher. Verlag S. Fischer, Berlin. Reiche Anregungen für
Arbeits- Fabriks- und Schulbetrieb 
! Angaben einiger amerikanischer Monumentalbauten.
Dieser Hinweis auf A. Holitschers »Amerika«19 ist einer der wenigen konkreten Literatur-
hinweise in Rolfs Tagebuch aus der Zeit der Gefangenschaft und der einzige Beleg da-
fĂĽr, dass sich Rolf auch in dieser ersten Phase seiner Gefangenschaft mit Architekturfra-
gen befasste. Holitscher hat im Rahmen einer Studienreise vor allem in Chicago Fabriken
besucht und die dortigen Arbeitsbedingungen kritisch geschildert. Vom amerikanischen
Schulwesen zeigt sich Holitscher hingegen restlos begeistert. Die von Rolf erwähnten
Monumentalbauten sind kleine, minderwertige fotografische Aufnahmen von Gebäu-
den in verschiedenen Städten. Auch wenn Rolf in seinem Tagebuch ein gewisses Inter-
esse für sie bekundet, so finden sich in seinen Skizzen und Zeichnungen, die er später
während seiner Gefangenschaft anfertigte, keinerlei Hinweise, dass er sich intensiver mit
ihnen auseinandergesetzt hätte. Die explizite Erwähnung scheint vielmehr ein Beleg da-
fĂĽr zu sein, wie sehr Rolf unter dem Mangel an Fachliteratur gelitten haben muss, sodass
ihn selbst dieses fĂĽr einen Architekten eher belanglose BĂĽchlein begeistert hat. Vorerst
blieb er aber ohnedies mit weitaus alltäglicheren Problemen konfrontiert:
2. Sept. / 20. Aug. russ. Datum. Wir bekommen 50 Rubel und mĂĽĂźen in russ. Schrift be-
stätigen und sogar unterschreiben. – Das Tragen von österr. deutschen und türkischen
Orden bleibt verboten  !
19 A. Holitscher: Amerika heute und morgen: Reiseerlebnisse. Berlin 1912 ( 
3. Aufl.  )
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273