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Die Jahre in Sibirien 131
Architektur beginnen, was mir die letzten Tage schon recht abging. – Hier ist Dr. Weiß
aus Wien an Flecktyfus erkrankt.
19. Feb. Bekomme einige Karten von Mutter, Herrn Todt [  ein befreundeter Priester  ], und
endlich eine rekommandierte von Ernst. Nun weiĂź ich was das lange Schweigen wieder
bedeutet hat, aber Mädi und auch die Kleine sind krank. Die Armen, daß sie sich gar nicht
ganz erholen können, ich bin wieder recht traurig darüber. Ich hatte so sehr Nachrichten
erwĂĽnscht und mich so darauf gefreut und nun bin ich recht betrĂĽbt.
20. Feb. Nachmittags endlich die erste Zeile von Mädi selbst. (  Rekommandierter Brief
vom 27. Jänn. 16  ) Also sie ist wieder auf und etwas erhohlt, auch die Kleine ist wieder
besser. Wie bin ich froh nach 4 Monaten wieder ein Zeichen von der teuren Hand zu se-
hen. Hoffentlich kommen sie jetzt häufiger und mit besseren Nachrichten.
21. Feb. Schreibe sogleich einen glücklichen Brief an Mädi, sie wird nicht wenig staunen
ĂĽber den raschen Wechsel von Jammer in Freude.
Die schwedische Rote Kreuz-Kommission ist hier und verteilt ihre Gaben – schö-
ne Decken und Stiefel und Schachteln mit Kälteschutzmittel. Je drei Österreicher und je
zwei Deutsche erhalten immer eine Schachtel. Trotzdem sind die Deutschen unzufrie-
den und verlangen fĂĽr jeden Mann eine Schachtel. Abend ĂĽberfallen sie sogar Ă–ster-
reicher und verprĂĽgeln sie, bis nach einigen Verwundungen russische Polizei Ordnung
schaffen muss. Allgemein wird zwar diese schmähliche Art, vor unserem Feinde, recht
bedauert, aber leider ist sie nicht zu ändern. Wir hatten den deutschen Offizieren in Tet-
juschin sofort von unserer Gage gegeben bis sie gleich viel wie wir hatten, auch sonst
gab es fĂĽr uns nie einen Unterschied, aber der norddeutsche Egoismus kommt eben
doch manchmal grob zu Tage.
Auch dieses Ereignis im Lager Dauria muss kurz mit den historischen Fakten erläutert
werden: Auf mehreren Konferenzen, an denen Delegierte des Schwedischen, Russischen,
Deutschen und Ă–sterreich-Ungarischen Roten Kreuzes sowie des TĂĽrkischen Roten Halb-
mondes teilnahmen, wurden ab dem Jahr 1915 eine Reihe von Vereinbarungen getroffen,
die die Lage der Gefangenen wesentlich verbessern sollten. Unter anderem wurde be-
stimmt, dass die Gefangenen Bücher erhalten durften, Offizieren mussten auch länge-
re Spaziergänge erlaubt sein, und insbesondere musste die Pflege und Betreuung von
Kranken und Invaliden sichergestellt werden. Als eine der wichtigsten MaĂźnahmen in
diesem Zusammenhang erwies sich die Installierung der Delegierten-Reisen – der soge-
nannten Schwesternreisen –, in deren Rahmen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273