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Kriegsgefangenschaft 134
zahle auch an drei Leute (  Tiroler  ) 38 Rubel aus. Vollmachten unterschreibt der russische
Kommandant, damit wir das Geld bekommen wenn es einlangt.
29. März Österreichische rote Kreuz Schwester Gräfin Reverterra32 besucht uns. Starke
Equinoktialsstürme [  Äquinoktium = Tagundnachtgleiche  ] sonst wäre die Sonne schon
warm. Unter Mittag taut es stellenweise.
16. April Mannschaft die schon lange fort auf Arbeit gehen sollte ist fort unter Beobach-
tung und immer neu tritt Tifus auf. Letzte Tage starke StĂĽrme, Schnee schmilzt untertags
durch die starke Sonne rasch, aber nachts friert Alles stocksteif.
25. April Die Osterfeiertage sind vorbei. Schon vor den Feiertagen waren bei der Mann-
schaft, besonders bei der russischen Alkoholdurchsuchung. GroĂźe Mengen wurden von
den Polizisten fortgeschleppt, um von den Polizisten selbst bei uns angeboten zu wer-
den. Böse Zungen behaupten auch die russischen Offiziere behalten den Schnaps für
ihren Bedarf. Aber merkwĂĽrdig, daĂź man die ganzen Tage doch nur schwer betrunkene
Russen ob Offiziere oder Soldaten sieht. Vor einigen Tagen war ein Lobartikel ĂĽber die
nationale Tat des Alkoholverbotes in der russischen Zeitung, aber gestern berichtet ein
anderer Artikel, daß der derzeitige Alkoholverbrauch in Moskau viel größer sei als vor
dem Krieg  ! Unsere Mannschaft ist jetzt in ihren Baracken schon seit langer Zeit so ein-
gesperrt, daß sie die Räume, in denen sie zu zirka 500 liegen, nur verlassen dürfen um
daneben auf die Latrine zu gehen. Dies soll sein, damit sie sich nicht anstecken können,
denn in einer Woche sollen sie endgĂĽltig alle fortkommen.
27. April Ein deutscher Soldat hat einen Russen mit dem Taschenmesser schwer in den
Bauch gestoßen. Alle möglichen Gerüchte über Abtransport nach Russland gehen her-
um, woran leicht gläubige Seelen schon wieder Friedensgedanken hängen. In den letzten
Tagen gingen mehrere Mannschaftstransporte durch, soll nach Pensa, auf Arbeit gehen.
Abends und nachts in einigen Werst Entfernung ziemlich großer Steppenbrand. – Karte
von Mädi, dritte Nachricht erhalten; arme Kleine ist operiert worden.
32 Gräfin Revertera publizierte ein sehr emotional verfasstes Tagebuch ihrer Sibirienreise 1915  /16,
das die katastrophalen Zustände in den Lagern beschreibt.
»Als Österreichische Rotkreuzschwester in Russland. Tagebuch von Gräfin Anna Revertera.« In:
Süddeutsche Monatshefte. Sept. 1923, S, 252–281
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273