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Kriegsgefangenschaft 152
10. Okt. Abends ereignete sich unter meinem Fenster ein UnglĂĽck. Oblt. Szigmond der in
stark betrunkenem Zustand aus der HaustĂĽr heraus will, wird vom russischen Posten, an-
geblich nach Bedrohung mit einem Stein niedergeschoĂźen. Der Arme stĂĽrzt auf der Stel-
le des [  …  ?  ] zusammen, und zwei Kameraden, die ihm zur Hilfe kommen wollen, werden
vom Posten ebenfalls gedroht. So musste der Arme ohne Hilfe auf der Stelle ausleiden
und kümmerte sich niemand um ihn, da sie keinen österreichischen Arzt hinzu ließen,
hielten eine Hausdurchsuchung ab, und erst nach einer Stunde wurde er in den Leichen-
schuppen geschleppt, und alle seine Sache auf der Stelle davon getragen. – Nach zwei
Tagen sollte die Leiche beerdigt werden, 10 Herren durften ihn begleiten, aber der Sarg
war nicht fertig, so kehrten die Herren wieder zurĂĽck.
Am 14. nachmittags Beerdigung. Der russische Kommandant Praporschik Werenikin fĂĽhr-
te selbst in schadenfroher Weise den Zug auf den Friedhof. Die Leiche lag noch unbe-
rührt in dem Schuppen, aber Kleider halb entblößt. Endlich kam ein Sarg an. Während
aber bisher immer gehobelte, einfach Särge verwendet wurden, gaben sie diesem Of-
fizier eine richtige ungehobelte Kiste. Unteroffiziere hatten gebeten, die Leiche herrich-
ten und tragen zu dĂĽrfen, wurde abgeschlagen. Am Friedhof benahm sich der russische
Offizier in der gemeinsten Weise indem er ĂĽberall die Schadenfreude und Missachtung
herauskehrte. Während der religiösen Handlung ging er pfeifend und rauchend neben-
her spazieren. Der Feldkurat Bratanic sagte ihm dafĂĽr zweimal die gebĂĽhrende Meinung,
wurde aber dafĂĽr vom russischen Oberst zur Verantwortung gezogen.- LehrbĂĽcher, Le-
xikon, die sie uns vor 7 Monaten zum abstempeln abnahmen haben sie noch nicht zu-
rĂĽckgegeben.
15. Okt. Noch Ende September waren Pestfälle in der Ortschaft aufgetreten, dann bei un-
serer Mannschaft wieder Typhus. Aber beides blieb lokalisiert. – Russen schikanieren im-
mer neue Lebensmittelpreise, da alles nur in der Lafka des Oberst gekauft werden darf,
unverschämt. Butter pro Pfund 1 Rubel 20 u.s.w. vieles wie Zucker (  pro Monat 2 Pfund  )
darf an uns nicht verkauft werden. BĂĽchersendungen werden nicht ausgefolgt, alles an-
dere, auch Konserven, werden bis aufs letzte zerstĂĽckelt und untersucht. Nur Gottlob
die Post funktioniert wieder etwas.
27. Nov. Heute kommt die Nachricht vom Ableben unseres Kaisers an. Lange glauben
wir es nicht, denn es stand schon oft so in den Telegrammen, aber diesmal scheint es
wahr  ! – Es ist arger Winter, um -30 °. Major Kahler und der Feldkurat sollen wegen Auf-
reizung strafversetzt werden. Rotter soll in Chawarofok [ 
Chabarowsk 
] abgekommen sein,
am 2. Tag schon soll man sie in Mandschuria erwischt haben. – Gute Post von Mädi und
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273