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Die Jahre in Sibirien 155
len einige Börsen und Geldbeträge. – Wir sind nun mit den angekommenen Offizieren
der Lager Tschita, Antipicha und Troiszkosafak [  = Troizkossawsk  ] zusammen 762 Offi-
ziere. Sonntags immer Konzert, Kabaret oder Theater. Die Vorlesungen beginnen wie-
der, für den Winter ist Beschäftigung geschaffen.
8. Sept. kam eine Karte von Fritz Seewaldt mit der Nachricht von Louis Tod, der Anfang
Juni erfolgt sein muß  ! [  Ein Bruder von Rolfs Frau. Er diente in der rumänischen Armee
und starb an Cholera.  ]
14. Sept. GlĂĽckstag an Post, zwei Briefe und 3 Karten von daheim, mit zwei Bildchen.
Später noch drei Transporte angekommen bis 1200 (  zirka  ) Offiziere hier im Lager sind.
1918
Die siegreiche Oktoberrevolution der Bolschewiken fĂĽhrte im Jahr 1918 zu einem grausa-
men Bürgerkrieg: Auf der einen Seite standen die »Roten«, die für die kommunstischen
Bolschewiken kämpften, auf der anderen Seite die »Weißen«, die sich aus antikommu-
nistischen und monarchistischen Gruppierungen zusammensetzten und die sich im Os-
ten vor allem aus Kosaken rekrutierten. Allerdings gab es, wie Rolfs Tagebucheintragun-
gen zu entnehmen ist, auch Kosaken, die aufseiten der Bolschewiken standen, was zur
Unübersichtlichkeit der Lage zusätzlich beitrug.
Aus Rolfs Schilderung der Wirren, in die die Kriegsgefangenen im Zuge dieser Aus-
einandersetzungen immer wieder gerieten, wird deutlich, dass erst dieser erbitterte
Machtkampf zwischen »Weißen« und »Roten« die bestehenden Strukturen so weit de-
stabilisierte, dass auch die scheinbar stillstehende Zeit in den sibirischen Lagern davon
erfasst und das Leben in den äußersten Winkeln des vormaligen Zarenreichs von den
neuen weltpolitischen Entwicklungen eingeholt wurde.
Trotz der Hoffnungen auf einen baldigen Friedensschluss während dieser letzten
Kriegsmonate bestand die einzige Möglichkeit zur Heimkehr für die Gefangenen nach
wie vor nur im Rahmen eines Invalidenaustausches. Erst als Ergebnis des Friedensver-
trags von Brest-Litowsk vom März 1918 wurden zwischen den Mittelmächten und Sow-
jetrussland Protokolle ĂĽber den Austausch der Kriegsgefangenen abgeschlossen. Da der
Heimtransport mit dem Austausch eigener StaatsbĂĽrger und deshalb mit groĂźen logis-
tischen Herausforderungen verbunden war, hielten sich die Bestrebungen der Sowjetre-
gierung zur Rückführung jedoch in Grenzen, wie Reinhard Nachtigal schreibt: »Mit der
Beförderung von 15 Millionen während des Weltkrieges mobilisierten – dann 1916/17 de-
mobilisierten – russischen Soldaten und darüber hinaus Millionen von [ 
zivilen  ] Kriegs-
flüchtlingen und Kriegsgefangenen, die die Militärführung lange nicht adäquat unterzu-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273