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Ankunft 181
nach einer Anfrage beim Polizeiamt gestattet, an Land zu gehen. Sehr interessant wie
die Stimmung in der kurzen Zeit seit Friedensschluss sich geändert. Die Amerikaner in
Manilla, früher größte Hetzer, sind zahm und freundlich, wünschen Deutsche zurück
und hassen schon die Engländer. Deutsche Geschäfte die die Amerikaner selbst weiter-
fĂĽhren wollten meist zugrunde gegangen. Alles rĂĽstet auf den Philippinen gegen Japan;
man erwartet den Zusammenstoß.«
Von Manila erfolgte die Reise nach Padang, den Jahreswechsel erlebte Rolf, wäh-
rend der Dampfer den Ă„quator ĂĽberquerte. Durch den Suezkanal ging es sodann nach
Port Said, Gibraltar, und nach rund zwei Monaten landete das Schiff am 2. Februar 1921
schlieĂźlich in Hamburg, von wo Rolf ein Schiff nach Triest nahm, um sich auf diesem wei-
teren Umweg seiner Heimat zu nähern. Dass Rolf nicht mit dem Zug nach Wien fuhr, er-
klärt sich vielleicht daraus, dass sein Pass, der ihm in Peking ausgestellt worden war, als
Endpunkt der Reise Triest angibt, und möglicherweise durfte er mit diesem Dokument
nicht in Deutschland einreisen.
Rolfs Frau Hermine (  Mädy  ) erinnerte sich Jahre später: Sie hielt sich gerade bei ih-
rer Schwiegermutter in Wien auf, als sie die Nachricht bekam, dass ihr Mann von China
kommend in Triest eintreffen werde. Daraufhin fuhr sie, begleitet von ihrem Vater, der
eigens aus Bukarest angereist war, nach Triest, um ihren Mann dort zu empfangen. Das
erwartete Schiff fuhr in den Hafen ein – doch Rolf war nicht bei den ankommenden Pas-
sagieren. Stattdessen erhielten die vergeblich Wartenden ein Telegramm, in dem Rolf
mitteilte, dass er seine Pläne geändert habe und eine nähere Erklärung folgen werde. Es
stellte sich heraus, dass Rolf seinen Platz auf dem Schiff einem Herrn ĂĽberlassen hatte,
dessen Frau sich in Ă–sterreich befand und erkrankt war. Rolfs Ankunft erfolgte schlieĂź-
lich – ohne nähere Ankündigung – erst drei Wochen später. Wie Hermine berichtete,
fĂĽhlte sich das junge Ehepaar beim ersten Wiedersehen einigermaĂźen unbehaglich. Ei-
nerseits bewirkte die lange Zeit der Trennung natĂĽrlich das GefĂĽhl einer gewissen Ent-
fremdung. Andererseits fand Hermine, nach einem Einkauf heimkehrend, ihren Mann
umgeben von ihrer Schwiegermutter und ihrer Schwägerin vor, sodass die neugierigen
bzw. Anteil nehmenden Blicke der Verwandten selbstredend erst recht die anfängliche
Befangenheit zwischen dem Ehepaar förderte.
Obwohl Rolfs und Hermines Familien über die China-Pläne Rolfs unterrichtet waren,
haben offensichtlich alle gehofft, dass er dieses Vorhaben schlieĂźlich doch aufgeben wer-
de. Allerdings stellte sich heraus, dass er durch seine berufliche Neuorientierung keines-
falls umzustimmen war. Rolf konnte sich auf gute Argumente stĂĽtzen: In China hatte sich
durch die Modernisierungswelle ein reiches Betätigungsfeld eröffnet, und insbesondere
westliche Architekten konnten mit weitreichenden Privilegien und aussichtsreichen Stel-
lungen rechnen. DemgegenĂĽber war infolge des Ersten Weltkrieges die wirtschaftliche
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273