Page - 190 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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China 190
sche Gefangenschaft. Er wurde 1919 entlassen und war sodann einige Zeit als Techni-
ker bei der Shantung-Eisenbahngesellschaft tätig. Spätestens im Jahr 1920 kam er nach
Tientsin und wurde in den folgenden Jahren ein viel beschäftigter Architekt. Seine Le-
bensdaten sind nicht bekannt. Belegt ist, dass er jedenfalls noch im Jahr 1939 mit seiner
Frau Paula in Tientsin wohnte.
Die Firma Yuen Fu Building and Engineering Co. projektierte nicht nur neue Gebäu-
de, sondern war auch als ausführende Baufirma tätig und soll bereits im ersten Jahr ihrer
GrĂĽndung 60 Projekte bearbeitet haben. Die drei Partner scheinen innerhalb der Firma
eigenständig tätig gewesen zu sein, das heißt, jeder hatte seine eigenen Projekte aus-
zuarbeiten und die AusfĂĽhrung zu ĂĽberwachen. DarĂĽber hinaus gab es noch eine Tisch-
lerwerkstatt. Ob diese Werkstätte im Rahmen der Firma oder von Rolf alleine gegrün-
det wurde, konnte nicht eruiert werden. Von Rolf selbst liegen dazu keine Informationen
vor. Jedenfalls berichtet seine Frau in dem Brief an ihre Eltern im Februar 1922, dass Holz
im Wert von 50.  000 Dollar »aufgestapelt« wurde. Ein Tischlermeister, der im Dezember
1921 eingestellt worden war, baute die Werkstätte erfolgreich aus, und es wurden nicht
nur Möbel fabriziert, sondern für die diversen Baustellen auch das Bauholz bereitgestellt.
Die Firma Yuen Fu konzentrierte ihre Tätigkeit nicht ausschließlich auf Tientsin, son-
dern erweiterte nach und nach ihren Wirkungsradius. Der erste groĂźe bedeutende Fern-
auftrag, die Errichtung der Universität »Dung Bei Da Hue« in Mukden / Shenyang, wur-
de von Rolf in den Jahren 1921–1922 realisiert.
Nachdem die Firma so erfolgsversprechend ihre Tätigkeit aufgenommen hatte,
tauchten jedoch politische Schwierigkeiten auf, die die BĂĽroarbeit wesentlich beein-
trächtigten, wie Rolf am 6. 8. 22 an seine Mutter schreibt: »Nach den schönsten Anfängen
und Aussichten kam eine politische Verwicklung in China, die nun schon Monate anhält
und die eine schwere finanzielle Krisis nun nach sich zieht, die auch noch länger anhal-
ten wird. Wir reduzierten unseren Betrieb, da fast keine neuen Aufträge eingingen, aber
trotz allem sind die Auslagen höher als die Einnahmen, da wir doch einen kompletten
Geschäftsapparat aufrecht erhalten müssen, um beim Wiedereinsetzen des Geschäftes
auch bereit zu sein. So geht uns viel von dem schwer verdienten Geld wieder verloren.«
Diese »politische Verwicklung« wurde wahrscheinlich durch den Einfluss der soge-
nannten Warlords44 hervorgerufen. Die Warlords waren militärische und politische An-
fĂĽhrer, die in den 1920er-Jahren und bis 1937, dem Jahr des Ausbruches des Japanisch-
Chinesischen Krieges, in ganz China ständige Krisensituationen verursachten. Sie übten
in begrenzten Gebieten eine absolute politische Macht aus und verteidigten sie auch mit
44 Der Begriff Warlord tauchte als LehnĂĽbersetzung des deutschen Begriffs Kriegsherr erstmals
im Zusammenhang mit der Republik China auf.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273