Page - 195 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Aufträge und Rückschläge 195
rungen nach fremden Plänen. Aber man muß froh sein wenn das Geschäftliche geht,
und dabei oft beide künstlerischen Augen schliessen.«
Rolf genoss aber nicht nur als Architekt und zuverlässiger Bauunternehmer großes
Ansehen, sondern auch sein fachmännisches Wissen erfuhr zunehmend Anerkennung,
wie die im Jahr 1929 erfolgte Berufung als Professor an die Kung Shang University, Col-
lege of Engineering, belegt. Die Universität wurde 1923 von französischen Jesuitenpat-
res in Tientsin unter dem Namen »Hautes Etudes« gegründet und zunächst als höhere
Schule in der Art eines Oberstufengymnasiums geführt. Ein Jahr später wurde der Schu-
le das Hochschulinstitut »College of Engineering« angegliedert. Im Jahr 1933 übernahm
die chinesische Republik die Universität unter dem Namen »Tientsin Kung Shang Col-
lege«, in den 1940er-Jahren erfolgte die Umbenennung auf »Kung Shang University«.
Rolf lehrte »Architectural Design«, »Building Construction« sowie »Materials of Con-
struction«. Wie muss er sich wohl gefühlt haben, als er, nachdem er jahrelang als sibi-
rischer Kriegsgefangener »Architekturkurse” abgehalten hatte, nun als Professor an ei-
ner renommierten Universität vor seinen Studenten stand  ! Allerdings erfährt man von
Rolf nichts über diese ehrenvolle Berufung, und auch Hermine erwähnte die Lehrtätig-
keit ihres Mannes kein einziges Mal. Es könnte sein, dass Rolf über diesen zusätzlichen
Aufgabenbereich gar nicht so begeistert war, denn bereits fünf Jahre später musste der
Dekan der Universität mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass Rolf seine Professoren-
tätigkeit beendete: »We were sorry that he was too busy with the direction of his firm
and was not able to continue his teaching in our School.”45
Nachdem die politische Lage in Tientsin halbwegs stabil war, die Zusammenarbeit
mit dem jungen Architekten Felix Skoff gut funktionierte und Rolf die größten finanzi-
ellen Schwierigkeiten weitgehend ĂĽberwunden hatte, erfĂĽllte Rolf im Sommer 1929 ei-
nen von allen Familienmitgliedern lang gehegten Traum: Das Ehepaar fuhr mit den zwei
Kindern, die mittlerweile zur Welt gekommen waren, in die Heimat, um die Verwandten
in Wien und Bukarest zu besuchen. Rolf hielt es jedoch nirgends lange, da er die Ge-
legenheit nutzte, neben den privaten auch berufliche Kontakte zu pflegen. Wann im-
mer es möglich war, importierte er nämlich für die Realisierung seiner diversen Projekte
das benötigte Material aus Österreich. Denn seinen guten Ruf als Bauunternehmer er-
warb er sich nicht nur durch seine zuverlässige Arbeit, sondern auch durch die äußerst
gediegenen und qualitätsvollen Ausführungen, und die in China hergestellten Produk-
te konnten seinen Anforderungen nicht genĂĽgen. In einem Schreiben an das Bundes-
kanzleramt Wien betonte der österreichische Honorarkonsul Dr. Bauer: »[  Herr Geyling  ]
hat in scharfer Concurrenz gegen englische, amerikanische, deutsche und chinesische
45 Unveröffentlichtes Schreiben vom 25. 11. 1946 im Nachlass Rolf Geylings
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273