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kommen war, kämpfte sie gegen die Mentalität der Bediensteten in ihrem Haushalt an.
Einerseits pflegte das Personal auch mehrmals wiederholte Anweisungen der Hausfrau
einfach zu ignorieren, wie Hermine in mehreren Briefen schreibt, und andererseits stie-
ßen vor allem Hermines Vorstellungen von Sauberkeit auf völliges Unverständnis. »Sie be-
greifen einfach Deine Art nicht und wollen auch nicht, da sie von einer bemerkenswerten
Faulheit sind«, stellt sie dazu einmal in einem Brief an die Schwiegermutter im November
1922 lapidar fest. NatĂĽrlich wurde nun, da die Kinder auf der Welt waren, die Kinderfrau,
die Amah, die wichtigste Person des Hauspersonals. Als Hermine das GlĂĽck hatte, eine
chinesische Kinderfrau zu finden, die ihr zusagte, tauchte gleichzeitig ein anderes Prob-
lem auf. Diese »Amah« war nämlich »ein ausgesprochener Drache«, der alle Kulis aus dem
Haus ekelte, wie Hermine am 22. August 1925 an ihre Schwiegermutter schreibt. »Es ist so
ermüdend kaum ist einer gut dressiert, was unendliche Geduld und Zeit kostet so gibt’s
irgendeinen Riesenkrach und der Mann läuft davon. – So war es kürzlich auch, aber sie
[  die Amah  ] kam an den Unrichtigen, der haute ihr ein blaues Auge – sie zog zeternd zur
Polizei, dann wurde der Kuli geholt und Beide blieben einen Tag aus. Endlich kam sie tri-
umphierend zurück und meinte sie hätte schon einen anderen Kuli bestellt, der alte dürf-
te nicht mehr ins Haus – sonst ginge sie. – Ich stand der Sache machtlos gegenüber.« Da
die Amah »für eine Chinesin besonders viel Begriff von Reinlichkeit« hatte, wollte Hermi-
ne nämlich nach wie vor nichts gegen sie unternehmen. Als Ersatz für den Kuli brachte
die Kinderfrau ihren Neffen ins Haus. Da dieser noch nie in einem europäischen Haus-
halt gedient hatte, war er natürlich wieder »neu zu dressieren«. Der Boy, das ist der ers-
te Diener, wäre zwar für diese Aufgabe zuständig gewesen, weigerte sich allerdings, da
der Kuli von jener Frau gebracht worden war, mit der offenbar schon das gesamte Per-
sonal in Fehde lag. Allerdings muss gesagt werden, dass die Amah die Kinder rĂĽhrend
umsorgte und Mausi und Franz auch eine besondere Zuneigung zu ihr fassten. (Abb. 114)
114 Die Amah mit
Mausi und Franz
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273