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Ewige Ungewissheit 253
rung. Auch gesundheitlich wird es nicht zum Besten stehen. Da tut Mädy also wohl dar-
an eher weg zu bleiben, jedenfalls nicht unnötig mit der Rückreise zu eilen.« Gleichzeitig
rät er, dass seine Frau wegen der unsicheren Lage in der Mandschurei für die Rückrei-
se den Seeweg wählen solle. Geradezu skurril angesichts der weltpolitischen Lage wir-
ken hingegen Rolfs Überlegungen, in denen er sich um eine möglichst optimale Aus-
nutzung der Wechselkurse durch Hermine sorgt. Er meint, dass die Valutalage »hier so
katastrophal« sei wie das Hochwasser – und seine Frau deshalb »jede Möglichkeit, die
gesetzlich offen steht ausnützen« solle, um die Pfund, die sie auf ihre Reise mitgenom-
men hat, zu sparen, da sie derzeit in China einen sehr hohen Wert hätten, während Aus-
gaben in Reichsmark nur die Hälfte kosten würden. »Nachmittags, es ist Sonntag, will
ich versuchen zu meinen ĂĽberschwemmten Bauten zu gelangen; es soll ohne einen Ki-
lometer im Wasser zu waten nicht gehen – immerhin ich muss sehen ob etwas anzu-
ordnen ist«, schließt Rolf den Brief.
Nur vier Tage später, am 24. August, schreibt er neuerlich an seine Schwester. Wie-
der betont er, dass seine Frau mit der RĂĽckreise mindestens bis November warten solle.
Und nun, da wegen der Überschwemmung sämtliche Bauvorhaben stillstehen und Rolf
davon ausgeht, dass erst im FrĂĽhjahr weitergearbeitet werden kann, ĂĽberlegte er, doch
noch nach Europa zu reisen, um seine Frau und die Kinder abzuholen. Allerdings be-
tont er zugleich, dass er erst in einigen Wochen die entsprechende Entscheidung treffen
könne, wobei eine Woche vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges einmal mehr mone-
täre Fragen im Vordergrund standen. Nicht die politischen Zusammenhänge beschäf-
tigten Rolf, sondern ausschließlich die Frage, »wie ich es bei dem miserablen Stand des
chin. Dollars finanziell leisten kann«.
Tatsächlich fiel der Plan seines Heimatbesuches ins Wasser – oder eher umgekehrt:
Das abklingende Hochwasser machte dieses Vorhaben zunichte. Am 14. September 1939
schreibt Rolf wieder an Greta: »Alle meine Freude auf die Heimreise musste ich wieder
begraben. [ 
…  ] Erstmal geht das Flutwasser hier doch viel rascher weg [  …  ] als ich je ge-
dacht hätte, und alle Bauherren wollen natürlich sehen, dass die Arbeiten an ihren Bau-
ten baldigst wieder beginnen.[  …  ] Dazu kommt noch der Ausbruch des Krieges in Euro-
pa. Ich habe doch fast allen Besitz, und das BĂĽro in der englischen Concession. Wenn
auch erste Massnahmen, die die Bankguthaben bei englischen Banken sperrten, wider-
rufen wurden so kann man dem östlichen Frieden nicht trauen, und muss ich verschie-
dene Maßnahmen treffen um meine Sachen möglichst zu schützen.« Erstmals auch die
politische Entwicklung berĂĽcksichtigend, meint Rolf nun auch, seine Frau solle angesichts
der geänderten Bedingungen doch möglichst schnell zurückkehren. »Ich fürchte, dass
Rumänien früher oder später in den Krieg hineingezogen werden wird. Russland, Bul-
garien und Ungarn warten doch auf den Tag wenn sich jedes seinen Teil holen kann.«
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273