Seite - 69 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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wünsche ausrichtete, und der bekannte Bühnenkünstler Hans Albers liefern sich
nach dem Schlussvorhang des Theaterstücks Die Rivalen ein Boxgefecht abseits
der Textvorlage.168 Rolf Nürnberg notiert in seiner Schmeling-Biografie:
Der Fall Albers war durchaus ein Dokument und ein Symptom der Zeit. Durch-
gesetzt hatte sich nicht so sehr der Schauspieler Albers wie der Typ Albers. Der
Durchbruch dieses Typs war ungemein charakteristisch. Der große Erfolgstyp von
1910 war Alexander Moissi gewesen, der lyrische, dekadente, nervös-problema-
tische Schauspieler, der Repräsentant einer ästhetischen, differenzierten, müden
Welt, einer alten Kultur. Der Typ der Nachkriegszeit wurde dieser Albers, der
Athlet, der Akrobat, der Draufgänger, der Sieger, der Kerl – er war ein Sporttyp,
sein Erfolg war erst möglich in einer Epoche, die den Sport als primäres Erlebnis
entdeckt hatte, für die das Interesse am Sport entscheidend geworden war. Er war
auf der Bühne jener Typ, den im Ring etwa Breitensträter, „der blonde Hans“, und
Dempsey repräsentierten – ein Schläger und Fighter, kein Boxer. Derselbe Typ,
der gegen Tunney und Schmeling zu unterliegen pflegte, dem aber unweigerlich
die Liebe und die Sympathie der Massen gehörten. Albers war die Bühnenüberset-
zung jenes populären Sports- und Boxertyps, wie das Volk und das Publikum aller
Schichten ihn sich nun einmal erträumt und vorstellt.169
Im Tonfall vorbehaltloser Begeisterung konstatiert der Berliner Dramaturg
und Theaterkritiker Herbert Jhering in der Lobschrift Boxen, der Faustkampf
sei nicht nur eine Bereicherung für „kühle Sportmenschen“170, sondern er habe
auch bereits deutliche Spuren in der Sprache hinterlassen:
Das mit Bildung belastete, intellektualisierte Hochdeutsch hat durch die Ingeni-
eursprache und durch den Einbruch des Sports an Bildhaftigkeit und Aktivität
gewonnen. Ein anderer Menschentyp, eine andere Ausdrucksweise. Kämpfer und
Zuschauer werden zu gegenständlichem Sehen gezwungen. Die Art der Vergleiche
führt in naivere Zeiten zurück. Paolino[171] gegen Breitensträter, „Baskischer Holz-
fäller gegen deutsche Eiche“ – das mag komisch klingen, ist aber schlagkräftig,
man behält es, so sprechen die Leute, es ist ihr Jargon. Daß die Sprache vom Boxen
beeinflußt wird, ist gut.172
168 Vgl. Müller 2004, S. 42; Schmeling 1928, S. 70f; Berg 1995, S. 139
169 Nürnberg 1932, S. 76f
170 Jhering 1980, S. 68
171 Paolino Uzcudun (1899–1985), spanischer Schwergewichtsboxer, genannt der „baskische Holz-
fäller“ (Wondratschek 2005b, S. 61; vgl. Brentano 1981a, S. 47f; Flechtheim 1926, S. 49)
172 Jhering 1980, S. 68 69
Haupt-
und
Nebenschauplätze:
Epochensymptom
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440