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FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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so die dem Common Sense entsprechende Vorstellung, ließe sich das Lebens- glück optimal und, dies vor allem, berechenbar meistern – eben durch Training, Drill und Ringmarter. Boxen wird zu einer existenziellen Metapher: Wer stre- bend sich bemüht, so der bis heute inhaltsleere wie auf bloßen Wunschvorstel- lungen gründende Gedanke, dem ist die Machbarkeit des Glücks garantiert. Die Sterne hängen im Boxring mitunter allzu tief. Körperdurcharbeitung ist gleich Glücksökonomisierung: Die Zeitgenossen des frühen 20. Jahrhunderts gehen dieser einfachen Box-Gleichung massenhaft auf den Leim – konfrontiert mit den hochgradig austrainierten Kämpfern im Ring, im gleißenden Licht der Arena- scheinwerfer, die sich, aller Widerstände zum Trotz, buchstäblich nach oben durchschlagen. Das Quantum an Unberechenbarkeit – die Möglichkeiten des so- zialen und sportlichen Abstiegs, die im Boxen stets präsent sind – verbuchen die Zeitgenossen generös als ein freies Kräftespiel dieses Sports. Brecht, wie stets mit Lust an der Desillusionierung, wird das zu einiger Ideologiekritik gereichen. Der Reporter des Berliner Lokal-Anzeiger berichtet 1927 unter der Überschrift In der Muskel-Schule / Ein Kapitel vom Training ruhelos aus der Berliner Sport palast- Sportschule vom Training der Profiboxer und der Amateure: Man wird schon schlanker, wenn man nur zusieht. […] Training, heißa, da pocht das Boxerherz, das ist Training, und wir andern, wir stehen da und halten vor abgrund- tiefem Erstaunen die Münder auf. Einer steht vor dem Spiegel und bekämpft sein grimmiges Ebenbild, daß die Lappen fliegen. – Und dort – leise, leise – der Trainer gibt seinem Mann ein paar Verhaltungsmaßregeln. […] Da sitzen sie nun, arme Ga- leerensklaven ihres Embonpoints, auf den Ruderbänken und zerrudern die zu viel gegessenen Koteletts. Da wälzen sie sich auf der Matte, von wegen ein paar zu viel ge- nossener Weißwürste. Da tanzen sie Springseil, weil sie zuviel Bockbier getrunken ha- ben. Da hauen sie den Punchingball, als wenn das arme Luderchen etwas dafür kann. […] Es lebe das Training! Zehn Gramm Fett sind wieder weniger in der Welt.357 Mit Hilfe eines asketischen Trainingsrigorismus und komplexer Trainingsprak- tiken wird versucht, den Herausforderungen im Ring – und jenen des Lebens –  zu begegnen. Training wird zu einem Synonym für die Möglichkeit stilisiert, dem „Strudel des modernen Daseins“358 zu entkommen; durch Übung und Schliff sollen sich Fehler ausgleichen lassen, Erziehung wird mit strategischer Schulung gleichgesetzt.359 Boxen verheißt eine neue „Stilistik der Existenz“360, 357 Zit. n. Arenhövel 1990, S. 98f 358 Jaspers 1998, S. 30 359 Vgl. Risse 1979, S. 28f 360 Foucault 1989a, S. 97 87 Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom  |
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FAUST UND GEIST Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Titel
FAUST UND GEIST
Untertitel
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Autor
Wolfgang Paterno
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20545-6
Abmessungen
16.1 x 25.5 cm
Seiten
446
Schlagwörter
Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
Kategorien
Geschichte Nach 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Grundlagen 15
  2. Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
  3. Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
  4. Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
  5. Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
  6. Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
  7. Ringfeldsichtung 113
  8. Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
  9. Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
  10. „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
  11. Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
  12. ZUSAMMENFASSUNG 389
  13. ANHANG
  14. Bibliografie 402
  15. Bildnachweis 438
  16. Dank 439
  17. Namensregister 440
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