Seite - 117 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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geschrieben von Bert Brecht erweiterte diskursive Zusammenhänge zwischen Sport,
Ökonomie und Alltagskultur her. Wirbelnde Körper in einem Schwall farblosen
Lichts, gerahmt von Publikum – Anatomie-Arenen: Die Ereignisse im Boxring
faszinieren Brecht. Schaucharakter, Authentizitätsanspruch, Körperintensität und
die möglichen Formen der Selbsterfahrung bilden für den Autor Beobachtungs-
und Erfahrungsfelder, die er zu Kulturkritik und Modernediskurs verdichtet. Brecht
hievt Boxen auf die Theaterbühne; er sprengt, wie noch genauer zu entwickeln sein
wird, den diskursiven Rahmen des Boxens und testet die Massentauglichkeit dieses
Sports aus, die andere Texte der Zeit bloß inspizieren.
Körperlichkeit und mentale Disposition bilden in den Überlegungen Ro-
bert Musils zum Boxen schließlich kein Gegensatzpaar mehr, sondern Pole
eines Spannungsverhältnisses, das sich den Handlungen und Haltungen, den
Reflexen und Reflexionen einprägt: Nicht nur Ulrich im Mann ohne Eigen-
schaften übt sich in der Boxsportkunst; die Erfahrung boxsportlicher Ekstase
zählt auch zum speziellen Erlebnisrepertoire des Boxweltmeisters Faust Ma-
genschlag, der bereits 1921 in einem frühen szenischen Entwurf Musils in den
Tagebüchern auftaucht.18 Boxen erweist sich in der Erzählung Der Riese Agoag
als ein zentraler Referenzrahmen für Musils Kritik modischer Körper-, Sport-
und Menschenbilder; in Essays wie Der Praterpreis, Durch die Brille des Sports,
Randglossen zu Tennisplätzen, Kunst und Moral des Crawlens und Als Papa Tennis
lernte sind die Themenkreise Sport und Boxen ebenfalls zentral geschaltet; der
in der Forschung bislang wenig herangezogene Text Psychotechnik und ihre An-
wendungsmöglichkeit im Bundesheere veranschaulicht Musils Beschäftigung mit
psychophysischen Fragen, die er als einer der ersten Autoren seiner Zeit auf das
Boxen überträgt. Kein anderer Autor der Zeit, so wird zu zeigen sein, erprobt die
Vielschichtigkeit und Komplexität des Boxens wie Musil.
Auf die naheliegende Korrespondenz von Kapitel- und Rundenzahl greift
Faust und Geist nicht zurück: Eröffnungskapitel sind keine ersten, Abschlusska-
pitel keine finalen Ringrunden. Zugelassen werden soll dagegen ein möglichst
breites Spektrum an Lesarten, Moderationen, Interpretationen und Erklärun-
gen der Weimarer Boxliteratur. Der Boxsport baut auf eingeschliffene Körper-
und Kampfcodes, althergebrachtes Regelwerk und einen von Duell zu Duell
nur in äußerlichen Details variierenden dramaturgischen Ablauf; erst die Bei-
mischungen des Improvisatorischen, der Variation in dem Vertrauten, erzeugen
jedoch den Reiz des Boxens – im Boxring selbst wie in einer kulturgeschichtli-
chen Untersuchung zum Boxen.
18 Vgl. Musil 1976a, S. 553ff 117
Ringfeldsichtung:
Boxen
in
der
Literatur
der
zwanziger
Jahre |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440