Seite - 122 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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nale gegenĂĽberliegenden Schemel, hinter denen eine gespannte, sich jeder Linie
des Körpers anschmiegende Rückenlehne aus Leinwand vibriert. Der Sprecher,
der bekannte Schauspieler Lamberts-Paulsen im eleganten Cut turnt in den Ring,
bittet, im Interesse der Kämpfer das Rauchen zu unterlassen, […] präsentiert Otto
Flint, der den Sieger im heutigen Hauptkampf zu einem Match herausfordert, und
mehrere anwesende Meister des Sports. Dann gibt er die Bedingungen des ersten
Kampfes bekannt:Â zehn Runden zu 3 Minuten mit 6-Unzen-Handschuhen.29
Ungläubig fragt der Trainer in Felix Hollaenders Roman Das Erwachen des Do-
nald Westhof seinen Boxschüler, der bald zu einer Größe seines Metiers aufstei-
gen und gegen die Sportberühmtheiten „Ermete, Spalla […] und Paolino“30
kämpfen wird:
Hast du etwas von Dempsey gehört – oder von dem … großen Neger Harry Wills
– oder von dem Schwarzen Jack Johnson, der Jim Jeffries die Meisterschaft ab-
nahm? Kennst du den groĂźen Georges Carpentier? Kennst du Paolino? Kennst
du Phil Scott? […] Du schüttelst den Kopf. Aber von Otto Flint – Breitensträter
– Samson-Körner – Franz Diener hast du was läuten hören?31
Die Namen von Gene Tunney, Jack Dempsey und Hans Breitensträter, Box-
idole und zugleich Kunstprodukte eines durch Boxen geweckten kollektiven
Begeisterungstaumels, finden wiederholt Erwähnung.32 Die Grundspannung
zwischen der authentisch intendierten, unverfälscht gedachten Abbildung von
Wirklichkeit und deren literarischer Ausgestaltung bleibt im Boxerroman letzt-
lich jedoch wirkungslos – und mit dem Diskursiven unverbunden: ein formel-
hafter Ausdruck des Selbstzweckhaften. Die Boxer werden nach MaĂźgabe von
Kampftechnik und Duellstil, von Aura und Größenwahn beurteilt, sie operieren
im Ring nicht im Rahmen bestimmter Wahrscheinlichkeiten, sondern als Funk-
tionsträger einer allein auf romankonstitutiver Spannungen basierenden Erzähl-
literatur: Sie agieren als Proponenten einer bedenklichen Geschichtslosigkeit;
die Möglichkeit der Subjektivierung – ein primäres Momentum des Boxens –
kommt dabei ebenso wenig in Betracht, wie die dargestellten „Ereignisse der
29 Schievelkamp 1920, S. 199
30 Hollaender 1927, S. 284; Ermete (nicht ermittelt); Giuseppe Spalla (1896–), italienischer
Schwergewichtler
31 Hollaender 1927, S. 254f; Harry Wills (1889–1958), amerikanischer Schwergewichtsboxer;
Jack Johnson (1878–1946), amerikanischer Schwergewichtsboxer; James J. Jeffries (1875–1953),
US-Schwergewichtler; Georges Carpentier (1984–1975), französischer Boxer und Autor; Phil
Scott (1900–1983), englischer Schwergewichtsboxer
32 Vgl. Brentano 1981a, S. 46f; Schievelkamp 1920, S. 60; Witte 1939, S. 122; Löffler 1939a, S. 112
122 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440