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weiträumig umgangen: Im Gegensatz zu Brecht und Musil, die, wie noch ge-
nauer zu konturieren sein wird, Boxen mit dem Integral des Schurkenhaften in
Verbindung bringen – im Mann ohne Eigenschaften wird Ulrich von Straßenräu-
bern bewusstlos geboxt; Brecht lässt den Athleten Samson-Körner im Lebens-
lauf in wüste Schlägereien geraten –, präsentierten diese Autoren eine erschre-
ckende Ahnungslosigkeit bezüglich des Konnexes von Sport und Straftat.40 Die
Boxerromane In der dritten Runde und Verliebtsein ausgeschlossen münden in eine
biedere Liebeserklärung und eine zwanghaft anmutende Hausstandgründung41;
in Der Mann am Faden eröffnet der Exchampion das Lokal Zum Boxmeister von
Deutschland42; der Boxer Beinahe schließt sich in Beinahe Weltmeister nach Ende
seiner Karriere als Boxsportkraftkerl einem Wanderzirkus an.43 Allein Das Er-
wachen des Donald Westhof von Felix Hollaender endet auf den ersten Blick mit
dem Niedergang des Protagonisten: Donald fällt nach einem Ringniederschlag
wochenlang ins Koma.44 Nach dem Wiedererlangen des Bewusstseins steht aber
sogleich frischer Wollens-Optimismus an der Tagesordnung: „Mensch, werde
wesentlich, heißt es irgendwo – Mensch, erwache! Nur bei sich selbst – nicht bei
den anderen – kann man beginnen!“45
2.
Bilderwelt
im
Boxumfeld:
Metaphern
und
Blicklogik
Ergiebiger scheint da die Analyse der Sprache des trivialliterarisierten Boxens,
die in der Regel einem dichten, parataktischen Stil folgt, dem „unerbittliche[n]
Takt“46 des Rings, sowie traditionell-dialektischen Bildkompositionen, nämlich
den Gegensatzpaaren von: stark/schwach; hart/weich; hell/dunkel. Blitzschnell
40 Vgl. Job 2006, S. 32; Kohr, Krauß 2000, S. 124; Luckas 2002, S. 31; Büttner, Dewald 1992, S.
226f; die diskursiven Verbindungslinien von Verbrechen und Boxen sind kulturwissenschaftlich
erst bruchstückhaft aufgearbeitet: Kampfmanipulationen durch Adelige (vgl. Kosmopolit 1927,
S. 26); Mafia-Granden (vgl. Job 2006, S. 32; Luckas 2002, S. 183–187; Büttner, Dewald 1992,
S. 220f); Schiebungen und Schwindeleien zur Blütezeit des US-amerikanischen und Weimarer
Boxens (vgl. Meisl 1928, S. 87; Berg 1993, S. 12f; Friedrich 1998, S. 289); Negativimage des
Boxens in der Adenauer-Ära (vgl. Kohr, Krauß 2000, S. 126f); verbrecherisches Fintenreichtum
von Athleten (vgl. Reemtsma 1997, S. 97; Kosmopolit 1927, S. 35); Mordtaten von Boxern (vgl.
Kohr, Krauß 2000, S. 124)
41 Vgl. Schievelkamp 1920, S. 207; Witte 1939, S. 250
42 Vgl. Hellwig 1931, S. 241
43 Vgl. Uzarski 1930, S. 187ff
44 Vgl. Hollaender 1927, S. 328
45 Ebd., S. 325
46 Sigleur 1940, S. 37
124 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440