Seite - 128 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Bildbereich des Mechanischen, der neben den Bedeutungsfeldern Material und
Kreatur zum Sprachstandard des trivialliterarisierten Faustkampfs zählt90, wird
wiederum gezielt bemüht, um jene Ringhelden, die nachgerade eine „menschli-
che Mechanik“91 verkörpern, zu legitimieren. In Athleten betritt der Boxer Tom
King die Arena in Bukarest:
Tom King hatte wieder einmal einen seiner ganz großen Abende, als er in den Ring
der Arena trat. Geschmeidig, fast spielerisch waren seine tänzelnden Schritte, seine
Schläge flogen leicht, wie von einem Billardqueue abgeschnellte Kugeln. Er lachte
[…] auf in den kurzen Pausen, mit blitzenden Zähnen, ließ die Muskeln seines voll-
endet schönen Körpers spielen gleich einem wohlgeölten, präzisen Mechanismus,
lehnte die Erfrischungen ab mit einem übermütigen, jungenhaften Achselzucken und
sandte einen spöttischen, herausfordernden Blick zur Eckloge hinauf, wo seine Frau
saß im grünen Samtkleid, mit dem Hermelinkragen um die schmalen Schultern.92
Zuweilen steigert sich die Begeisterung für das Mensch-Maschinenhafte in
exponentielle Formen des Absurden. Allein bei flüchtiger Zählung findet der
Terminus „Kampfmaschine“ in Victor Wittes Roman Verliebtsein ausgeschlossen
mehr als 30 Mal Anwendung.93 Mit dem Verweis auf die metaphysische und
märchenhafte Größe des Boxers erhält der athletische Männlichkeitsentwurf
schließlich seine unwiderrufliche Weihe – Kurt Schwitters in Merfüsermär,
Ödön von Horváth in Der Faustkampf, das Harfenkonzert und die Meinung des
lieben Gottes und Robert Musil in Der Riese Agoag werden, wie später noch aus-
zuführen sein wird, das bevorzugt mit Boxen in Anschlag gebrachte märchen-
hafte Narrativ subversiv unterlaufen. Zuvor betreten aber noch Emil Beinahe
und Micky Klumpatsch in Beinahe Weltmeister unbeschwert von differenzierter
Reflexion den Ring: „Sie sahen beide aus wie junge Götter.“94 In Der bleichsüch-
tige Knabe Gene findet sich Jack Dempsey als lebendiger „Kriegsgott“95 wieder.
Viola in Verliebtsein ausgeschlossen erscheint im Garten in Gestalt des Boxers
Pleß der „Märchenprinz“96. In Violas Tagtraum muss die Sportmärchengestalt
90 Stephanie Haerdle hält dagegen fest: „In den Unterhaltungsromanen ist die Darstellung des Bo-
xers, seines Körpers oder seines Kampfstils über das Bildfeld des Technischen und Maschinellen
kaum zu finden.“ (Haerdle 2003, S. 53)
91 Wohlbrück 1921, S. 337
92 Ebd., S. 312
93 Vgl. Witte 1939, S. 21; 37; 39; 40; 42; 44; 49; 57; 61; 63; 112; 123; 167; 179; 191; 194; 195; 219;
220; 224; 225; 226; 229; 234; 236; 239; 240; 242; 244; 244; 244; 245
94 Uzarski 1930, S. 162f
95 Löffler 1939a, S. 112
96 Witte 1939, S. 138
128 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440