Seite - 143 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 143 -
Text der Seite - 143 -
sondern auch eine „gehörige Portion Lebenserfahrung“232 dazu. Mit der Defi-
nition des neusachlichen „Kältepanzers von Ehre, Tapferkeit, Ruhm und Här-
te“233 korrespondiert diese Boxer-Imago; das Vorstellungsbild vom Raufbold im
Ring versagt bei unerfahrenen Athleten: Die zur Schau getragene Kältehülle
wird in Männer im Ring mit dem „Energiepanzer“234 verwechselt, den der Bo-
xer um die „Unkenntnis von den Dingen des Lebens“235 legt. Im Lebens- und
Überlebenskampf gerät Boxen mitunter buchstäblich zur Rettungsmöglichkeit.
Als der junge Protagonist in Theo boxt sich durch nach einem Schiffsunglück al-
lein auf dem Atlantik treibt, halten ihn Gedanken ans Boxen am Leben; ein-
dringlich informiert der Erzähler: „Theo, Theo, durchhalten! Denke, du wärst im
Ring. Boxe dich durch, Theo! […] Er bekam keine Luft mehr, da rief plötzlich
eine Stimme in ihm: Theo, boxe dich durch! Immer am Mann bleiben, nicht
nachlassen bis zum letzten Gongschlag!“236 Daneben findet sich eine weitere
Vorstellung von Boxen in der Unterhaltungsliteratur abgebildet, gestaltet und
nachgeahmt: Boxen bietet demnach die Möglichkeit gesellschaftlicher Wieder-
eingliederung, die Aussicht auf den Aufstieg in die Sphären von Leistung, An-
erkennung, Zufriedenheit und monetärer Sicherheit; der Boxdiskurs wird zur
vorschnellen Explikation von Daseins- und Weltmodellen eingesetzt, mit der
tendenziellen Färbung, das Sportlich-Wettkampfmäßige ins Bedeutungsvolle,
Existenz- und Vulgärphilosophische zu erheben: Foucaults Forderung nach Le-
bens- und Existenztechniken führt sich selber ad absurdum. Die Technologien
des Selbst gelangen im Boxen, dem Selbsttechnologie-Sport par excellence, nur
mehr in entstellter Form zur Anwendung: Jeder Mann sei „ein Einzeltyp“ 237, so
lautet der allzu verkürzte Befund des Boxers Prenzel in Männer im Ring. Jeder
Mann
muß kämpfen, wie es seiner Natur am besten liegt. Schläge, Beinarbeit, Taktik,
Einstellung auf erkannte Schwächen und Stärken des Gegners sind für jeden an-
ders[;] […] macht nie den Fehler, unpersönlich zu kämpfen.238
Im Spannungsfeld der kulturellen und gesellschaftlichen Modernisierung er-
lebt der Boxer Franken, der in Max Schievelkamps Roman In der dritten Runde
232 Sigleur 1940, S. 86
233 Lethen 1994, S. 115
234 Sigleur 1940, S. 86
235 Ebd.
236 Nohara o. J., S. 28
237 Sigleur 1940, S. 61
238 Ebd. 143
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
|
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440