Seite - 154 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Heldeninflation und Starkult münden in „fettüberschriebene Artikel“332, in de-
nen die aktiven Sportler „König der Boxer“333 oder „Se. Majestät“334 genannt
werden; dazu Fotos über die „ganze Titelseite hinweg“335: „Eine Zeitung brachte
das Bild des Meisterboxers mit seinem Sohn. […] Breit stand darunter: Tom
Matthes bildet seinen Sohn zum Weltmeister aus.“336 In den Sportredaktionen
gibt es „zahlreiche Spezialisten für den Faustkampf“337; in den Zeitungen fin-
den sich „Notizen mit interessanten Einzelheiten aus dem Leben“338 der Bo-
xer. Halb anerkennend, halb belustigt schreibt Rolf Nürnberg von „Boxwissen-
schaftler[n]“339.
Boxen als öffentliche Attraktion findet schließlich an Schauplätzen mit büh-
nenähnlicher Ordnung statt – davon ausgehend wird Brecht, wie später noch zu
zeigen ist, einen wesentlichen Anreiz für seine Beschäftigung mit Boxen ziehen.
Die Literarisierung des Boxens orientiert sich auffallend häufig an Licht-Mo-
tivik und Lärm-Metaphorik: Der Sport wird mit besonderer Signalwirkung
ausgestattet; es wird ihm das Signum des Außerordentlichen zuerkannt: Boxen
steht im „Lichtkegel des allgemeinen Publikumsinteresses“340. Der Boxer selbst
sieht sich wie in Verliebtsein ausgeschlossen in einem Netz heterogener Elemente
verfangen: „Der Gong ertönte. […] Er wollte noch mehr hören. Aber es war
plötzlich eine vollkommene Stille eingetreten. Dafür sah er jetzt die Gesichter,
Hunderte und Tausende von Gesichtern, die ihn wie ein Ring umgaben.“341 Der
Auftritt der Athleten wird mit Hilfe von Lichtregien dramatisiert. „Die weite
Halle ist in Halbdunkel getaucht […]; neugierig harren dreitausend Menschen
der Dinge, die da kommen sollen.“342 In Der Leibhaftige strömen Massen in
die Boxarena, um den Kampf von Willi Gast zu sehen. Frank Thiess montiert
und mischt hier außerliterarische Aktualitäten und erzeugt auf diese Weise ein
spezifisches Vorstellungsbild vom Boxen. Der Sport soll sich von seiner Papier-
vorlage lösen; aus der Metaphorik ist Bedrohungsgefühl wie überbordende Fas-
zination herauszuspüren:
332 Wohlbrück 1921, S. 296
333 Ebd.
334 Ebd.
335 Hellwig 1931, S. 40
336 Ebd., S. 219
337 Sigleur 1940, S. 59
338 Schievelkamp 1920, S. 192
339 Nürnberg 1932, S. 17
340 Marcus 2013, S. 156
341 Witte 1939, S. 44
342 Sigleur 1940, S. 19
154 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440