Seite - 159 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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schen mit einem Schlage“387; es herrscht „Todesstille“388 bevor ein „Brüllen […] gen
Himmel“389 steigt, dass man „hätte glauben können, die Erde wanke“390. In Men-
schen im Hotel prasselt „Hagelschlag von Applaus“391 auf die Sportler nieder. Das
Kampfende löst die Spannung: „Stürme erschüttern den Riesenraum, fremde
Menschen fallen sich um den Hals, zehn, zwanzig springen in den Ring, heben
den strahlenden Sieger auf die Schultern.“392 Jede „Lunge brüllt heraus, was sie
hergibt“393. Boxen wird im grellen Licht der Öffentlichkeit vollzogen und als zeit-
typisch lärmendes Bühnenspektakel inszeniert. Der Sport bündelt die zentralen
Signaturen von Tempo, Lärm und Licht: „Nun flammten die Tiefstrahler auf.
Die Kapelle spielte einen aufregenden Marsch.“394
Boxen ist auf dem Feld der Trivialliteratur mit emblematischer Bedeutung
ausgestattet, einsehbar in Stößen von Schriften; die Autoren operieren in Kate-
gorien von kraft- und kampfmäßiger Totalität und verleihen dem literarisierten
Boxen eine synthetisch glatte Oberfläche, dargestellt als gewaltiges Licht-und-
Lärm-Spektakel. Die Entlarvung des ideologischen und diskursiven Scheins
des Boxens, die Entschlüsselung seiner Dynamiken und Komplexitäten obliegt
jenen Autoren, denen Boxen weniger Wunschprojektion, eher erweiterte lite-
rarische Spielfläche ist. Die Unterhaltungsliteratur spricht vom Boxen in tech-
nischen oder mechanischen Bildern mit emphatischer Bedeutung. Boxen wird
in diesen Texten ideologiekritisch kaum je hinterfragt; vielmehr wird darin das
Bild des idealen Kämpfers wie kristallin abgebildet; durch Übertreibung und
Stilisierung werden ihm gleichsam in Stein gehauene Ehrenmäler errichtet
und seine Taten verkündet. Die Kolportage- und Lieferungsromane sind ge-
wissermaßen bemüht, Kapitelle an der mit Pagodentürmchen dekorierten Ruh-
meshalle des Boxens anzubringen: Boxen wird mit Aureolen ausgeschmückt.
Es bleibt Joseph Roth, Franz Blei, Kurt Schwitters oder Ödön von Horváth
überlassen, die Kapillar- und Setzrisse am boxliterarischen Triumphbau hoch-
literarisch zu registrieren.
387 Wohl 1927, S. 290
388 Ebd.
389 Ebd., S. 295
390 Ebd.
391 Baum 1988, S. 169
392 Sigleur 1940, S. 64
393 Ebd., S 72
394 Witte 1939, S. 64 159
Kraft-
und
Körperkulte:
Boxsport-Mode
im
Unterhaltungsroman
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440