Seite - 161 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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sich endlich in drastischer satirischer Verzerrung. Das Hochamt des Sports
neigt sich seinem Ende zu. Trivialliteratur stilisiert Boxen zu einem Anker-
punkt modischer Sportkultur, bereitgestellt für ein Publikum, das mit „Wün-
schen nach äußerlichen Sensationen geheizt“6 sei, wie Egon Erwin Kisch im
Feuilleton Elliptische Tretmühle beobachtet. Die Ansprüche einer Literatur, die
sich in differenziert-distanzierter Perspektive dem Boxen nähert, gehen darüber
deutlich hinaus. Boxen als Gesamtphänomen wird in Reportagen, Erzählungen
und Feuilletons einer Neubewertung unterworfen, indem der Sport, vertiefend
und grundlegend, an eine Vielfalt von Diskursen gekoppelt wird. Joseph Roth,
Anton Kuh, Franz Blei, Erich Kästner und Ernst Krenek zeichnen ein subtileres
Bild des Boxens; Kurt Schwitters, Klabund, Heinrich Mann, Leonhard Frank,
Joseph Breitbach und Joachim Ringelnatz beurteilen das Modernephänomen
differenzierter. Als distanzierte Beobachter nähern sich diese Autoren dem
Boxen in kritischer Erzählhaltung; zu Demaskierungszwecken gleitet der Tat-
sachensinn des institutionalisierten Vermöbelns dabei ins übersteigert Fiktive
hinüber, ins Bühnengerechte, ins Derb-Humoristische, wie in Mischformen des
Imaginär-Realen, fern affirmativer Strategien, mit denen die Spektakelträch-
tigkeit des Boxens auf Umwegen sanktioniert werden könnte. Gottfried Benn
bezieht 1926 das Bildfeld Boxen in das Gedicht Summa summarum ein, in dem
er vorrechnet, wie viel er mit dem Schreiben verdient habe, nämlich beschämend
wenig: „Gedicht ist die unbesoldete Arbeit des Geistes, der fond perdu, eine Art
Aktion am Sandsack: einseitig, ergebnislos und ohne Partner –: evoë!“7 Jetzt
wird mit Boxen abgerechnet.
Zuvor jedoch markieren die Romane von Leonhard Frank und Joseph Breit-
bach beispielhaft den Eintritt des Boxens in die ,hohe‘ Literatur; sowohl Frank
als auch Breitbach binden den Sport an einen spezifischen historischen Mo-
ment: Franks Das Ochsenfurter Männerquartett dokumentiert die Entwicklung
des Boxens von der kombattanten Gassenschlägerei zum publikumswirksamen
Massenspektakel; Breitbachs Die Wandlung der Susanne Dasseldorf fokussiert auf
den Beginn der Institutionalisierung des Boxens als Teil urbanen Amüsements.
Beide Autoren erproben ihr Thema fernab urbaner Zentren und – wenigstens
in Das Ochsenfurter Männerquartett – als Nebenaspekt der Romanerzählung; in
Das Ochsenfurter Männerquartett und Die Wandlung der Susanne Dasseldorf wer-
den aber nicht bloß Fakten zum Boxen ausgestellt – der Sport wird in erwei-
terten Zusammenhängen sichtbar gemacht; der in der Trivialliteratur diskursiv
wenig aussagekräftige Topos des Boxens wird hier an kulturelle, soziale und
ökonomische Diskurs- und Praxisfelder gebunden. In Franks Roman erscheint
6 Kisch 1993b, S. 229f
7 Benn 2006, S. 257 161
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440