Seite - 168 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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Das einzige, was sie bis dahin gefesselt hatte, war das Drum und Dran des Sports.
Das schroffe Glockenzeichen vor und nach den Runden war ganz nett. Sie sah
auch neugierig zu, wenn die Boxer sich nach den Runden über die Schemel aus-
streckten und abwaschen ließen, und dann gefiel ihr der Lärm. Es war Leben und
Leidenschaft in den Pfiffen und Zurufen.42
Susanne, die ihr „Temperament unter einem Panzer von Eis“43 verbirgt, wird
dann später von den Ereignissen im Ring doch noch mitgerissen. Boxen beginnt
sich früh als ein Symbol des Spektakulären zu etablieren, das besondere Formen
der Öffentlichkeit erzeugt. Peter, den Breitbach dem Schwergewichtler Hans
Breitensträter nachmodelliert44, gewinnt den Kampf und wird „Knock-out-Sie-
ger über den Champion der amerikanischen Armee“45:
Die Langeweile verflog allmählich wieder. Es gab doch allerlei erregende Augen-
blicke, und Blut floß auch. Das war während des dritten Kampfes. Die allgemeine
Erregung riß sie langsam mit. Sie fing wieder an, die Schläge zu verfolgen. Es war
ja ganz gleichgültig, ob sie etwas davon verstand oder nicht. Aufregend war es letz-
ten Endes doch. Und einmal, als ein Amerikaner in den Seilen landete und nicht
mehr hochkam, sprang sie sogar von ihrem Stuhl auf. 46
Zu der rauschhaften Feier, mit der das Sportzeitalter zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts begrüßt wird, strömt bald auch ungeladenes Publikum herbei; die Sti-
lisierung des Boxens zu einem Zirkus höchster Rangordnung, so scheint Joseph
Breitbach in Die Wandlung der Susanne Dasseldorf suggerieren zu wollen, war
von Anbeginn auch schiere Phantasmagorie. Peters Familie betritt die Box arena,
im Roman verächtlich als die „Heckers“47 bezeichnet und demgemäß grell aus-
staffiert – Federboa, brauner Seidenmantel und Sommerhut mit Federn und,
der Sommerhitze zum Trotz, schwerem Weißfuchs.48 Ob Susanne diese Gesell-
schaft peinlich sei, wird die Heldin gefragt. „I wo, Sport ist Sport“49, bekennt
sich Susanne zur anbrechenden Pseudoreligion der Epoche.
42 Ebd., S. 484 (Hervorh. im Orig.)
43 Ebd., S. 453
44 Vgl. Plettenberg-Serban, Mettmann 2006, S. 380
45 Breitbach 2006, S. 489
46 Ebd., S. 485
47 Ebd., S. 482
48 Vgl. ebd.
49 Vgl. ebd.
168 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440