Seite - 178 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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In der elaborierteren Literatur finden in der „Gegenüberstellung von Boxern
und Kopfarbeitern“115 letztlich auch kühne Um- und Entwertungsversuche der
Sportler-Glorifizierung statt. Der Körper wie das Denken des Körperlichen,
so ließe sich argumentieren, sind nicht mehr in den Griff zu bekommen – dem
Versagen des Körperlichen wird eine Subjektkonzeption gegenübergestellt, die
den Boxer als historisches Individuum zeigt, das in einem Geflecht von Macht-
technologien, diskursiven sowie institutionellen Praktiken und, wie nachfolgend
gezeigt werden wird, von den Sportlern nicht mehr ausdeutbaren Zeichen-
systemen steckt. Das ,Geistige‘ im Sport wird als bloße kulturelle Setzung ent-
larvt, die Subjektivität des Boxers bildet sich jenseits der körperlichen Dimension
in fataler Ausprägung ab: Die Betonung der geistigen Dimensionen des Diskur-
siven schlägt in die skeptische bis negative Anthropologie des Boxens um; die
kritische Registratur des Sports ergibt gegenläufige Bilder: Die dem Boxer ei-
gene Angriffslust wendet sich gegen den Athleten; dem Kraftkerl und seiner fast
ubiquitären Präsenz, die im Repräsentativen ihre eigentliche Bestimmung fin-
det, wird buchstäblich zu Leibe gerückt. Es werden entlarvende Psychogramme
entworfen, die dem heroisierten Bild des Boxers diametral entgegenlaufen; die
kritische Bestandsaufnahme schlägt sich in Negativbildern und dem Vorhaben
nieder, stereotype Rollenzuschreibungen zu konterkarieren. Der Faustkämpfer
wird als Figur in einer Farce erkannt, die es zu durchkreuzen gilt: Der demons-
trative Dauerelan des Boxers, der sinnbildhaft für Kampfgeist, Körperschönheit
und Körperstärke steht, wird mit der psychisch-affektiven Grobschlächtigkeit
des Athleten gegengeschnitten; mit Neugier und Interesse bewegen sich die Au-
toren auf der Terra incognita des Kräftegeschehens im seelisch-geistigen Bereich
– und dringen dabei in Bezirke abseits der biologisch-körperlichen Verfasstheit
vor, also fern jener Bewegungssystematiken, Fitness- und Körperideologien, die
in die Egos der Boxer scheinbar einprogrammiert sind. Den trivialliterarischen
Schriften, die mit Hilfe eines boxgenretypischen Wortnebels eine Rhetorik
des äußeren Scheins in Gang zu halten suchen, wird die phänomenologisch
gemischte Darstellungsweise des Leibseelischen entgegengehalten: Kraft und
Körpergeschick sind wesentliche Attribute des Boxens – konfrontiert mit dem
Phänomen der geistig-seelischen Beinahe-Leere erstarrt der Boxer aber zur leb-
losen Statue, zu einem strohdummen Mechaniker der Tat, der die mit Boxen
offen in Verbindung gesetzte Aussicht auf sozialen Aufstieg und Daseinsglück
ad absurdum und zu einer reinen Glücksverheißung erklärt. Erik N. Jensen hält
dazu in Body by Weimar fest, dass der Aufstieg der Boxerfigur
115 Schaper 2006a, S. 96
178 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440