Seite - 179 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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also coincided with a dramatic decline in the social value accorded to Bildung, the
liberal emphasis on science, the arts, and moral self-development that had for-
med the cornerstone of middle-class value an aspirations in nineteenth-century
Germany. By the 1920s, business achievement and material success had eclipsed
Bildung in the popular imagination, a process to which the prizefighter himself had
contributed in significant ways. The legendary sums that he received for his fights,
for example, appeared to show that upward mobility no longer depended on an
esoteric appreciation of Schiller, Brahms, and the Greek tragedies, but instead on
talent, aggression, and a well-toned body.116
Das Gelenk, das die Verbindung zwischen sportlichem Außeneffekt und see-
lisch-geistigem Innenbezirk stiftet, wird im Boxen gelegentlich als „Identitäts-
bewahrung“117 oder „Identitätsdiskurs“118 umschrieben und von dem auf einem
klassizistisch-idealistischen Vorstellungsideal gründenden Begriff der „Persön-
lichkeit“ etikettiert119: „Mehr als jede andere Sportart lebt das Faustfechten von
Persönlichkeiten“120, schreiben Michael Kohtes und der Sportpublizist Josef
Machalewski (unter dem Pseudonym Kosmopolit) in ihren jeweils Boxen über-
titelten Kulturgeschichten des Boxens: Der Erfolg im Boxsport hänge „von der
Persönlichkeit ab“121. Ernst Krenek, Anton Kuh, Josef Roth und Franz Blei zie-
len treffsicher auf die satirische Entwertung der Boxerpersönlichkeit.
Adam Ochsenschwanz in Schwergewicht oder Die Ehre der Nation
Das Libretto von Ernst Kreneks burlesker Operette Schwergewicht oder Die Ehre
der Nation stimmt bereits den Grundton an, in dem die Helden des Rings sa-
tirisch bloßgestellt werden. Die Enthüllungsabsicht des Titels prägt das ein-
aktige Musikstück: Adam Ochsenschwanz, ein berühmter Meisterboxer, trifft
auf einen Journalisten, der den Athleten offenkundig hinters Licht führen
will. Ob er viel lese, wird Ochsenschwanz gefragt. „Auf dem Klosett hab ich’s
Abendblatt“122, entgegnet der Faustspezialist, worauf sich die Steigerungslogik
der Selbstentblößung in Gang setzt. Auf die Frage, ob er Goethes Faust kenne,
116 Jensen 2013, S. 60 (Hervorh. im Orig.)
117 Luckas 2001, S. 159
118 Junghanns 1997, S. 127
119 Roland Barthes spricht in Die Tour de France als Epos davon, dass die Radrundfahrt eine „Welt der
Charakter-Essenzen“ sei, vgl. Barthes 1986a, S. 32 (Hervorh. im Orig.)
120 Kohtes 1999, S. 79
121 Kosmopolit 1927, S. 149
122 Krenek 1974, S. 176 179
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440