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verborgenem Augenzwinkern, „so darfst du dich nicht wundern, wenn dir an
diesem Tag alles schief geht.“339 Serner lockt konsequenterweise mit der Aus-
sicht, dass den Zwängen des modernen Daseins durch die Stärkung der Atem-
muskulatur und mit Hilfe eines Diätplans zu entkommen sei: „Atme oft tief,
bade nur zweimal wöchentlich (zehn Minuten lauwarm) und lasse jeden vierten
Tag eine Hauptmahlzeit völlig ausfallen. Beschränke dich auf zwei Tassen gu-
ten Kaffees, vier Gläser Wein und acht Zigaretten oder drei Zigarren pro Tag.“340
Kurzum, die erstrebte Superiorität erfordert Regeln soldatischen Exerzitiums:
„Erst wenn du es in all dem, was dich ausmacht, zur Vollkommenheit gebracht
hast, wirst du alle Gefahr auf ein Minimum reduziert haben.“341 Serner wäre
aber nicht der unübertreffliche Entlarvungskünstler, wenn er das aufgestellte
Gebot im selben Atemzug – und mit einem elegant unterspielten Klammeraus-
druck – ironisch intensivierte: „(Gewiß, gewiß. Aber vergiß es nur nicht.)“342 Im
Jargon des vorgeblichen Expertentums führt Serner die überzogenen Verspre-
chungen von Trainings- und Optimierungsfolter vor Augen: „Wie sehr du auch
deinen Elan fördern kannst und den Erfolg zwingen, indem du dich trainierst,
so wirst du doch manchmal beides nur erreichen, wenn du exzedierst.“343 Serner
fordert im Handbrevier für Hochstapler unumwunden die Ausschweifung ein. Pa-
ragraf 362 stellt da die einleuchtende Konsequenz dar: „Schränke alle Strapazen
auf das Minimum ein. Sie machen alt.“344
4.
Extreme
Faktoren:
Nationalismus,
Religion,
Öffentlichkeit
Nationalismus. Figurationen des Religiösen. Tumultdiskurse
In dem Geflecht von vertikaler Zeitachse, urbaner Mentalität und moderner
Lebensweise sind Nationalismus, Religion und Publikumsproblematik nicht
durch affirmative Koppelung zum Boxen in augenfällige Beziehung gesetzt,
sondern werden durch Ironisierung, Kontextverschiebung und karikierende
Übertreibung zu „diskursiven Knoten“345 geknüpft. Die Relevanz einer solchen
339 Serner 2007, S. 179
340 Ebd., S. 179 (Hervorh. im Orig.)
341 Ebd., S. 182
342 Ebd.
343 Ebd., S. 180
344 Ebd., S. 190
345 Jäger 1993, S. 185; zur Problematik des Knotens und Knüpfens vgl. Emden 2008, S. 249 (Her-
vorh. im Orig.): „Der lateinische Begriff nassa bezieht sich vor allem auf Reusen und Fischnetze
und führt so vor Augen, dass sich in Netzen etwas verfängt. Die weitaus häufiger auftretenden
212 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440