Seite - 229 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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babylonische König Belschazzar gibt ein rauschendes Festmahl, bei dem Ge-
tränke aus goldenen und silbernen Bechern gereicht werden, aus jenen Behält-
nissen, die Belschazzars Vater Nebukadnezar einst aus dem Tempel zu Jerusalem
geraubt hat (vgl. Dan 5,1–30); die Gäste des Gelages loben diese „Götter aus
Gold und Silber“ (Dan 5,4), worauf „Finger von einer Menschenhand“ (Dan
5,5) erscheinen und Schriftzeichen an einer Wand des Palasts hinterlassen, die
allein Daniel – einer der Gefangenen der Jerusalem-Eroberung Nebukadnezars
– zu entschlüsseln weiß. „Das Geschriebene lautet aber“, deutet Daniel die Zei-
chen an der Wand: „Mene mene tekel u-parsin. Diese Worte bedeuten: Mene:
Gezählt hat Gott die Tage deiner Herrschaft und macht ihr ein Ende. Tekel:
Gewogen wurdest du auf der Waage und zu leicht befunden. Perses: Geteilt wird
dein Reich und den Medern und Persern gegeben.“ (Dan 5,25–28) Daniel wird
in Purpur gehüllt, mit einer goldenen Kette ausgezeichnet und zum Dritten im
Königreich erhoben. (Dan 5,16) In der biblischen Erzählung schimmert durch-
aus die Praxis des Boxens durch: Abwiegen, Abzählen, Machtaufteilen, Sieger-
schmücken. Schwitters Imitation des Boxens generiert in Merfüsermär bizarre
Bedeutungsverschiebungen: Boxen wird von den Bereichen des Hermetischen
– Blümner nennt Ango laïna eine „absolute Dichtung“465 – und verklausuliert
Religiösen überblendet und erzeugt, ideologiekritisch hinterfragt, Bilder von
bizarr phosphoreszierender Beschaffenheit.
Borniertheitsduell in Klabunds Spuk
Der Bloßstellung der Boxhysterie widmet sich auch Klabund in einem Ab-
schnitt seines Romans Spuk. Der Boxmeister Munk monologisiert vor einem
anberaumten Kampf im Umkleideraum466; in duellrhetorischer Dramatisierung
lässt Munk seine „Muskeln spielen“467, während er seinen Gegner, einen Athle-
ten aus Asien, den „Gelbe[n]“ 468, warten lässt. Körperinszenierung, Vulgärphi-
losophie und Nationalismus werden in Spuk satirisch zugespitzt durchgespielt;
ein diskursives Gemenge, welches das heroische Zeitalter der Antike wie die
utopische Motivik der Ich-Selbstfeier abschöpft, ist die Folge. „In mir verkör-
pert und vergeistigt sich der Kontinent“469, stellt Munk fest.
465 Vgl. ebd., S. 215
466 Vgl. Klabund 1922, S. 128ff
467 Ebd., S. 128
468 Ebd.
469 Ebd. 229
Box-Demontage:
Faustkampf
in
der
elaborierten
Erzählliteratur |
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440