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ter, schreibt Hermann von Wedderkop 1926 in dem Querschnitt-Essay Wand-
lungen des Geschmacks, biete alles an „Ausnutzungsmöglichkeiten“121; es stelle
den „Idealausdruck der Zeit“122 dar. Max Schievelkamp protokolliert in seinem
Roman In der dritten Runde: „Der Besuch der Theater ließ nach. Das große Pu-
blikum fand endlich den Mut, sich von der Lüge des literarisch-philosophi-
schen Bonzentums freizumachen und sich der zwar primitiveren, aber gesunden
Wertschätzung des Schauspiels kämpfender Naturkraft zu bekennen.“123 Mit
mehr Differenzierungsvermögen konstatiert Alfred Flechtheim ebenfalls 1926
im Querschnitt, dass über jede Berliner Premiere intensiv berichtet werde und
die „Spalten der Tagespresse von hinten bis vorn gefüllt“124 seien, die Theater
aber dennoch leer blieben. Was sich im Boxsportring dagegen abspiele – das
sei „wirkliches Drama“125. Dem konventionellen Theater nicht vergleichbar. Die
sportliche Dramatik des Boxens übertrage sich, fährt Flechtheim fort, ebenso
auf den Bierkutscher wie auf die Zelebrität.126 Im Boxen seien „Kraft, Geist und
Erfahrung“127 vereint; Boxern sei zu ihren Auftritten im Ring zu gratulieren:
„Der Versuch war ein ‚kokoschkaesker.‘“ 128 Ein guter Boxkampf, so Flechtheim,
sei „künstlerischer als alle Berliner Theateraufführungen“129. Brecht forderte be-
reits 1920 im Essay Das Theater als Sport:
Wenn man ins Theater geht wie in die Kirche oder in den Gerichtssaal, oder in die
Schule, das ist schon falsch. Man muß ins Theater gehen wie zu einem Sportfest.
Es handelt sich hier nicht um Ringkämpfe mit Bizeps. Es sind feinere Raufereien.
Sie gehen mit Worten vor sich. Es sind immer mindestens zwei Leute auf der
Bühne, und es handelt sich meistens um einen Kampf.130
Seinen Boxer Freddy Meinke lässt Brecht im Ring „wie auf dem Theater“131
herumgehen. Die Nähe des Boxens mit seiner „elementare[n] Dramatik“132 zum
Theater ist unverkennbar – Boxen erscheint als eine spezifische „Form von Per-
121 Wedderkop 1926, S. 500
122 Ebd.
123 Schievelkamp 1920, S. 85
124 Flechtheim 1926, S. 48
125 Ebd., S. 49
126 Vgl. ebd.
127 Ebd.
128 Ebd.
129 Ebd.
130 Brecht 1992b, S. 57
131 Brecht 1997a, S. 206
132 Ott, Tworek 2006, S. 120
254 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440