Seite - 261 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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soll er Geltung haben, nach den Regeln des Britischen Faustkämpferverbandes
ausgefochten werden!191
Der Kampf ist kurz. Die Macht kehrt sich gegen Fewkoombey: „Seelisch und
körperlich zerbrochen schlich [er] hinter dem Alten her.“192 Im Fragment Das
wirkliche Leben des Jakob Gehherda flüchtet sich der Kellner Gehherda ebenfalls
in einen Traum vom handstreichartigen Sieg über einen missliebigen Gast. In der
heruntergekommenen Restauration Zu den 2 Rittern wird das Abwaschmädchen
Sylvia von jungen Leuten aus einem Segelclub belästigt193; tagträumend fordert
Gehherda als „Schwarzer Ritter“ vom Gast Maschner Satisfaktion. Der Ernst-
fall Boxen demonstriert, einmal im Traum- und Illusionstheater angekommen, die
Absurdität der Welt: Der Schwarze Ritter muss sich für die Fehde, vereinbarungs-
gemäß in Rüstung und mit Lanze ausgetragen, in einer kleinen Pfandleihe zuerst
einen preiswerten Duellspieß beschaffen; an seine Dame richtet der Ritter die
salbungsvolle Absichtserklärung: „Ja, Fräulein Sylvia, ich gehe in den Kampf für
Sie, ich, der zweite Kellner, den Sie nie gesehen haben, aber jetzt ist er da für Sie.
Wollen Sie sich das bitte merken!“194 Der darauf folgende Kampf mündet in über-
steigerten Aktionismus, energetischen Aktivismus, der sich selbst ad absurdum
führt, und das symptomgleiche Anwachsen unbestimmbarer Traumtollheit, mit
deutlich sichtbarer Tendenz zu einer kolportagehaften Darstellung des Boxens:
Gongschlag. Die erste Runde besteht aus einem einzigen Aufeinander-zu-Reiten,
wobei die Lanzen nicht treffen. Dann wieder Gongschlag. Die Kämpfer werden
auf Stühle gesetzt und es wird ihnen mit Handtüchern Luft zugefächelt.
Der Gast Maschner zu seinem Sekundanten, dem zweiten Gast: Benachrichtigen Sie
meinen alten Herrn. Ich ahne, ich werde aus diesem Kampf nicht lebend hervor-
gehen. Die gute Sache wird siegen, sie ist zu stark. Kellner, einen Whisky Soda!
Der Schwarze Ritter bringt ihm einen Whisky Soda.
Die Köchin Seht ihr, wie er seinen Gegner noch durch einen Trunk erfrischt, bevor
er ihn niederstreckt? Das ist wahrer Sportsgeist!
Der Schiedsrichter Als zweite Runde wird auf Beschluß der Kampfleitung eine
geschäftliche Unterredung eingelegt. Wollen die Herren sich bitte also setzen.
Die Ritter steigen von den Pferden und setzen sich einander gegenüber auf einfa-
che Stühle. Man bringt ihnen Zigarren. Sie rauchen.195
191 Brecht 1990, S. 13 (Hervorh. im Orig.)
192 Ebd.
193 Vgl. Brecht 1997d, S. 724ff
194 Ebd., S. 738
195 Ebd. (Hervorh. im Orig.) 261
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440