Seite - 264 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 264 -
Text der Seite - 264 -
der von den zwei anderen Gästen gebildet wird. Auf der anderen Seite hält der
Schankkellner am Zaum einen Rappen, der aus dem Restaurateur und dem ersten
Kellner besteht. Ein Fotograf und ein Reporter, der Bootsmann als Schiedsrichter
und einige Zuschauer. Neben dem Rappen Sylvia, sich das Haar richtend. Neben
dem Schimmel der Gast Maschner in Ritterrüstung, nervös eine Zigarette rau-
chend. Alle haben die Uhr in der Hand.206
Unter den Zuschauern findet sich auch ein Reporter, der darüber spekuliert, ob
sich wohl Adolf Hitler und Hans Albers zu dem Ereignis einfinden werden.
Eilig drängt der Schwarze Ritter auf Kampfbeginn; auf dessen Frage, ob der
Hahn bereits gekräht habe, antwortet der Ringrichter: „Wie soll denn mitten in
der Nacht der Hahn krähen?“207 Die Geschehnisse im und – dies vor allem – um
den Ring sind genauestens zu verfolgen, will man nicht den Überblick verlieren.
Im fragmentarischen Essay Das Theater als sportliche Anstalt klagt Brecht: „Es
ist wahr, daß ich im Theater, wenn ich schon hingehe, keinen rechten Spaß ha-
be.“208 In den Theatersälen sei das Publikum verunsichert, obwohl es sich „alle
Mühe“209 gebe, „an den richtigen Stellen zu klatschen und die gleiche Meinung
zu haben wir ihre Zeitungen“210. Das Theater, notiert Brecht auch in Mehr guten
Sport, habe längst jeden „Kontakt mit dem Publikum“211 verloren. In dem siche-
ren, durch die häufigen Besuche im Berliner Sportpalast erworbenen Wissen
fordert er ein Publikum, das „jung genug […] für ein scharfes und naives The-
ater“212 sei. Er plädiert für nichts weniger als eine neue „Zuschaukunst“213, weil
die Schauspielkunst „für gewöhnlich nicht in Büchern gelehrt“214 werde, noch
die „Zuschaukunst, die so gar nicht einmal als Kunst bekannt ist“215. Brechts
Reflexionen über die Porträtkunst in der Bildhauerei, festgehalten in dem Es-
say Betrachtung der Kunst und Kunst der Betrachtung, lassen sich gewissermaßen
ohne Reibungsverlust aufs Boxpodium übertragen: „Die Betrachtung der Kunst
kann nur dann zu wirklichem Genuß führen, wenn es eine Kunst der Betrach-
tung gibt.“216
206 Brecht 1997d, S. 736 (Hervorh. im Orig.)
207 Ebd., S. 737
208 Brecht 1992a, S. 55
209 Ebd., S. 55
210 Ebd.
211 Brecht 1992c, S. 121
212 Brecht 1992h, S. 134
213 Brecht 1993i, S. 124
214 Brecht 1993k, S. 618
215 Ebd.
216 Brecht 1993j, S. 570
264 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440