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nimmt Brecht bereits im Mahagonnysong No. 4 vorweg. Erscheint der Name
Jack Dempseys in der Gedenktafel von 1927 bereits als „Männertöter“332 eingra-
viert, vertröstet Brecht seinen Protagonisten in dem zwei Jahre zuvor publizier-
ten Mahagonnysong: „Ach Johnny, hab nicht so / Viele Angst um deinen Kopf
/ Dann zerschlägt du Jack Dempsey / Wie einen alten Topf! / Sei ein Mann /
Geh nur ran / Mein Sohn! / Und wenn du über die Runden kommst / Dann
komm nach Mahagon!“333
In Freddy Meinke, den glücklosen Boxer aus Der Kinnhaken, senkt Brecht,
während er unter anderem den Entdeckungen der zeitgenössischen Aus-
druckspsychologie334 folgt, ebenfalls deutliche Spuren nachvollziehbarer psy-
chologischer Motivierung ein; nicht nur der Körper wird im Kinnhaken zum
Gegenstand mannigfaltiger Trainingspraxen, in den Haushalt der „Seelenkräf-
te“335 gerät gleichfalls in Bewegung: „Freddy schwamm flott in seiner Glücks-
strähne“336, gesteht Brecht seinem Boxer nach Zusicherung des ersehnten
Meisterschaftskampfs für einen kurzen Moment lang zu (– die anschließende
Trainingsmühe wird sich später ohnehin wieder als Reinfall erweisen337). Der
Erzähler der Geschichte, der als Sparringspartner im Vorbereitungsduell auf
die Meisterschaft gegen Meinke boxt338, rätselt jedenfalls über die innere Ver-
fasstheit seines ehemaligen Ringgegners: „Ich glaube, er war mit seinem Kampf
gegen sich selbst ziemlich zu Ende.“339 Joseph Roth streut einige Jahre darauf,
1932 in dem Feuilleton Ursachen der Schlaflosigkeit im Goethe-Jahr, die Frage ein,
ob die Kampfbörsen beim Boxen, also die Geldgewinne für die Boxer, eher dem
„,Seelischen‘ oder […] ,Materiellen‘“340 zuzurechnen seien. Darauf versucht be-
reits Brecht eine schlüssige Antwort zu finden.
6.
Syntheseversuche:
Psychisches
und
Physiologisches
In Alsbald verließ auch sein Aug, ein im Nachlass aufgefundenes und wohl ein
Jahr nach der Erzählung Der Kinnhaken entstandenes Gedicht Brechts, bei dem
es sich laut Elisabeth Hauptmann um den Bericht über einen Boxkampf han-
332 Ebd., S. 381
333 Brecht 1993f, S. 297
334 Vgl. Lethen 1994, S. 118
335 Mann 1932, S. 335
336 Brecht 1997a, S. 206f
337 Vgl. ebd., S. 207
338 Vgl. ebd.
339 Ebd., S. 208
340 Roth 1991b, S. 414
280 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440