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Art körperlich austrainiert und mental gerüstet zu stellen, ziehe einen „Lehr-
satz“367 nach sich, der da laute: „Ein Mann soll immer das tun, wozu er Lust hat.
Nach meiner Ansicht. Wissen Sie, Vorsicht ist die Mutter des k. o.“368 Brecht
unterläuft aber auch hier, wie so oft, die boxerischen Benimmregeln. Es ist wich-
tig, wer hier spricht: Das Dogma vom Zusammenspiel zwischen Achtsamkeit
und Knock-out wirft einer der Angetrunkenen vor geleertem Bierkrug in die
Runde.369 Schon die in neusachlichem Denken geschulten zeitgenössischen Le-
ser dürften der Schlussfolgerung nicht ganz nachgekommen sein; allzu deutlich
scheint die Schattierung der Erzählung: Meinkes Verlangen nach Alkohol und
Zigaretten; dessen boxkämpferische Unlust; die Kollision der Interessenlagen;
das Aufbegehren des Athleten gegen die festgezurrte Boxdramaturgie, die Zeit
und Kampfablauf in die Regie des Kompetitiven fesseln will; das Ignorieren des
boxsportlichen Maskenzwangs, der den Boxer allein als Kurator von Körper-
kraft und Konzentration akzeptiert.370
7.
Ökonomien:
Geldumlauf,
Körperpotenziale,
Selbstsorgetechniken
Eine weitere Nahtstelle, an der das dynamische Wechselspiel von diskursiven
Bereichen und nicht diskursiven Praxen deutlich auszumachen ist, ergibt sich
aus der Koppelung von Sport und Ökonomie. Boxen, in den 1920er-Jahren eine
mögliche Quelle schnellen Geldes, wird für Brecht zum Anlassfall einer „Ge-
sellschaftsanalyse“371 mit ökonomischem Bearbeitungsschwerpunkt. Wolfgang
Leppmann notiert in Die Roaring Twenties über Boxen als Erwerbsquelle:
Diese Art des Geldverdienens, so primitiv und atavistisch sie den Gebildeten
vorkommen mag, ist sozusagen nachvollziehbar und leuchtet dem Mann auf der
Straße weit eher ein als die undurchsichtigen Transaktionen eines Rockefeller.372
Erich Kästner bringt die spezifischen Imaginationen des boxsportlichen Geld-
erwerbs in Boxer unter sich erzählerisch auf den Punkt.
367 Extra 2006, S. 194
368 Brecht 1997a, S. 209
369 Vgl. ebd.
370 Brecht hält auch im Lebenslauf signalhaft Distanz zur Boxsporteuphorie der 1920er-Jahre; den
geplanten Titel Der Meisterboxer ändert er in den überlieferten; Wolfgang Jeske zitiert dazu eine
Belegstelle aus Die Literarische Welt von 1926, vgl. Jeske 1984, S. 33 u. 85
371 Müller 2004, S. 147
372 Leppmann 1992, S. 268 (Hervorh. im Orig.)
284 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440