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Boxen erweist sich als ein spezifischer Bedeutungsbereich, der von simplen
ökonomischen Regeln und mühelos zu erzielenden Renditen bestimmt scheint.
Auf dem unübersichtlichen Terrain des modernen Lebens mit seinen sozialen,
politischen und ökonomischen Verknüpfungen versucht sich Meinke mit Hilfe
eines ihm vertrauten boxtechnischen Skripts zurechtzufinden – vergebens:
Man könne nur dann wirklich ungemütlich werden, wenn man genau wüßte, daß
man sich auf jeden Fall in der Hand hätte. Er selbst müsse von Anfang an das Ge-
fühl haben, daß er nicht an einen Mann hinschlage, sondern durch ihn durch, und
daß also die Hand durch so eine Sache wie ein Kinn überhaupt nicht aufgehalten
werden kann.397
Kampfbörsen und Kassageklingel: Lebenslauf
Boxer sehen sich ständiger Gefahr ausgesetzt, außer Form zu geraten und das mit
Anstrengung erworbene Körperkapital von Kampf zu Kampf einzubüßen. Vor
dem Hintergrund von Kampfbörsen und Kassageklingel erscheint das Selbst-
verständnis der Sportler mit Ökonomischem und Monetärem vielschichtig ver-
woben. Im Lebenslauf verdichtet Brecht beispielhaft Wirtschaftsgeschichte mit
Boxen. Fragen nach der Berufs- und Arbeitsplatzwahl und der damit einherge-
henden ökonomischen Sicherheit tangieren in der Zeit der anbrechenden Indus-
trialisierung auch die Lebensläufe von Boxern. Hineingestoßen in eine Welt, die
„allein ökonomisch bestimmt“398 scheint, durchläuft Samson-Körner auf seinem
Weg zum Ringmatador eine Reihe identitätsstiftender Stationen: Geboren in
Sachsen, wird er früh für den „Elektrotechnikerberuf“399 bestimmt, vor dem der
junge Paul aus seiner Heimatstadt flieht400; eine „hübsche Auswahl anderer Be-
rufe“401 in Kombination mit zahlreichen Ortswechseln – „zwischendurch einmal
nach Afrika“402 – sowie notorische Geldnot403 prägen Samson-Körners berufs-
mäßiges Fortkommen: Er ist Hausdiener in Aue; Knecht auf einem Gut bei
Altenburg; Bierkutscher in Eisenach; Schuhverkäufer in Hamburg; Hausdiener
und Bäcker in Cardiff; Faktotum; Kohlentrimmer; Brotbäcker; Frächter auf See;
397 Ebd.
398 Sicks 2004, S. 383
399 Brecht 1997b, S. 216
400 Vgl. ebd., S. 217
401 Ebd., S. 217 (Hervorh. im Orig.)
402 Ebd., S. 234 (Hervorh. im Orig.)
403 Vgl. ebd., S. 219, 221, 226 u. 230
288 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440